Wer erinnert sich noch an Planscape: Torment, welches vor gut 15 Jahren erschienen ist? Ein Rollenspiel, welches sich vor allem mit seiner Story von den Genre-Kollegen unterschied. InXile Entertainment hatte es sich zur Aufgabe gemacht einen Nachfolger (im Geiste) ins Leben zu rufen und startete eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne. Innerhalb von nur sechs Stunden wurde das Finanzierungsziel erreicht. Jetzt ist das Spiel erschienen.
Wo sind sie nur, die tollen und tiefgründigen Geschichten in Computerspielen? Und wo gibt es noch andere Welten zu entdecken, ausser dem üblichen Fantasy-, Sciencefiction- und Weltkriegs-Kram? Wie wäre es damit: Die ganze Geschichte spielt eine Milliarde Jahre in der Zukunft und die Welt funktioniert nun ganz anders, als wir das kennen oder uns vorstellen können. Der Spieler ist eine leere menschliche Hülle, die vorher von einem Gott benutzt wurde. Dieser Gott lebt nun in einer neuen Hülle weiter. Natürlich möchten wir jetzt wissen, wer dieser Gott ist. Und dann gibt es noch „Kummer“, eine böse Kreatur, die durch verschiedene Dimensionen reist und versucht, diese ehemaligen Gottes-Hüllen zu zerstören. All das erfahren wir zu Beginn in dutzenden Textfenstern. Und von denen werden wir noch viel mehr sehen. Es gibt zwar eine englische Sprachausgabe, aber diese kann gekonnt ignoriert werden. Mehr als die Hälfte des gesamten Spiels verbringen wir mit dem Lesen von Dialogen, treffen Entscheidungen und erleben deren Auswirkungen auf die Geschichte.
Zu Beginn stürzen wir vom Himmel auf die Erde, wo wir bereits die ersten wichtigen Entscheidungen treffen müssen. Bevor wir wieder zu uns kommen, sprechen wir mit unserem eigenen Geist. Dieser erklärt uns unter anderem, wie die rundenbasierten Kämpfe funktionieren. Allzu komplex werden diese nicht. Wir müssen uns nur entscheiden, ob wir die wenigen Aktionspunkte für die Bewegung oder den Angriff nutzen wollen. Optional können wir auch versuchen, uns davon zu schleichen oder sogar durch geschicktes Diskutieren den Kampf komplett umgehen. Manchmal ist das Wort eben mächtiger als das Schwert. Während dem aufklärenden Gespräch mit uns selbst werden wir bereits das erste Mal von „Kummer“ angegriffen und können gleich das Gelernte in die Tat umsetzen. Hier bekommen wir aber noch Unterstützung. Auch im späteren Spielverlauf werden wir immer mal wieder mit einem oder mehreren Gefährten unterwegs sein. Diese laufen aber nicht einfach nur hinterher, sondern reagieren auf ausgeführte Aktionen, ähnlich wie in Fallout. Wenn wir es uns mit ihnen verscherzen, kann es gut sein, dass wir nicht mehr auf ihre Hilfe zählen können. Und je nach deren Skills, könnte das unschön für uns ausgehen.
Die Charaktergestaltung ist natürlich ein wichtiger Teil eines jeden Rollenspiels. Diese passiert bereits in den ersten Spielminuten. Allerdings fällt das Ganze eher simpel aus. Es gibt nur die drei Klassen Glaive (Kämpfer), Nano (Zauberer) und Jack (Charm und Schlagfertigkeit). Dazu dürfen wir noch die Attribute Kraft, Geschwindigkeit und Intellekt auswählen. Durch die eher kleine Auswahl an Grundwerten und Skills sollte man sich genau überlegen, wie diese eingesetzt werden sollen. Vor allem werden einige davon aufgebraucht und können nur an Rastplätzen oder speziellen Objekten wieder aufgefüllt werden. Apropos Objekte: Bei Tides of Numenera gibt es das sogenannte Cyphersystem. Gefundene Gegenstände werden unter anderem in diesem kreisförmigen Inventar abgelegt, welches aber begrenzt ist. Ist die Traglast zu hoch werden wir langsamer oder bekommen allgemein schlechtere Werte. Neben den Cypher-Objekten gibt es auch noch Artefakte die immer benutzt werden können und besondere Gegenstände, die wir teuer verkaufen dürfen.
Soweit so normal. Gar nicht normal ist allerdings das Szenario von Torment. Als Spieler tauchen wir wortwörtlich in eine fantastische Spielwelt ein. Hier gibt es kein Ödland oder eine Fantasygeschichte mit Drachen und Standard-Zaubern. Dafür können wir durch Dimensionen reisen, mit unserem eigenen Geist sprechen und allerlei fremde Maschinen entdecken und bedienen. Jeder Fan von Science-Fiction der meint alles gesehen zu haben, wird hier eines Besseren belehrt. Passend dazu gibt es viele skurrile NPCs, die uns ganz viel erzählen und natürlich Quests für uns haben. Die Lösung für so eine Quest kann zum Beispiel so aussehen, dass wir einen Charakter namens „Verlust-ihr-Selbst“ dazu bringen sollen, von einer Klippe in den Tot zu springen. Ziemlich schräg! Tatsächlich geht es aber oft um sehr philosophische Themen wie das eigene Ich, die Seele, das Leben, der Tod oder die Liebe. Und auch hier passt es wieder, dass man sich einfach die Zeit nimmt und auf das viele Textmaterial einlässt.
Fazit:
Das neue Torment ist wie ein interaktives Buch. Wer die vielen Textfenster wegdrückt und sich sofort in den ersten Kampf stürzt, wird bitter enttäuscht sein. Ich habe mich zuerst auf ein Rollenspiel à la Baldurs Gate gefreut. Das Rollenspiel ist extrem textlastig, was bestimmt viele Spieler abschrecken wird. Aber genau in diesen Texten sind die vielen Infos und Details enthalten die man braucht, um in diese phantastische Zukunftswelt einzutauchen. Hier gilt es einfach bei der Sache zu bleiben und sich auf das Abenteuer einzulassen. Wer wirklich Interesse und viel Zeit hat, bekommt hier eine Erlebnis, dass er bestimmt nicht so schnell vergessen wird.
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