Eines vorneweg: Der Autor dieses Reviews spielt am liebsten SRPGs auf Handhelds und würde „Final Fantasy Tactics: War Of The Lions“ als eines seiner Alltime-Lieblingsspiele bezeichnen. Dementsprechend hoch waren auch seine Erwartungen an das neue Strategierollenspiel herausgegeben durch Square Enix.
Tactics Ogre: Let Us Cling Together von Quest kam 1995 für das Super Famicon heraus, erschien später ebenfalls für den Sega Saturn und die PlayStation und wurde nun auf die PSP portiert – nicht ohne einige Verbesserungen. Wer sich im Nischengenre der SRPGs wohl fühlt, der weiss, dass Tactics Ogre in der obersten Liga mitspielt – also in einem Atemzug mit der Final Fantasy: Tactics-Serie (die aus der Ogre-Serie entstand), Fire Emblem und der Disgaea-Franchise (beziehungsweise deren SRPG-Spiele) genannt wird. Für Nichtkenner: SRPGs zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass neben der in Cutscenes und Dialog-Bildschirmen erzählten Story viel Zeit im Party-Roster und mit Mikro-Management verbracht wird – von den vielfach lange dauernden Gefechten erst zu schweigen. Wie üblich sieht man in den Kämpfen auch bei Tactics Ogre aus der Iso-Perspektive auf das in quadratische Felder unterteilte Schlachtfeld und hat die Aufgabe, im Zug-um-Zug-Modus die Kämpfer und Kämpferinnen zum Sieg zu befehlen.
Das Spiel, nachfolgend mit TO:Luct abgekürzt, ist komplex. Zu einer schwer in wenige Worte zu fassenden Geschichte gesellt sich ein Gameplay, das stundenlanges Verweilen in der Einheitenübersicht geradezu provoziert und definitiv nicht dazu einlädt, nur kurz ein paar Minuten zocken zu wollen. TO:Luct will entdeckt, genossen und geliebt werden – und zwar von denjenigen, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Inwiefern das hervorragende Balancing, ein mysteriöses Rad und eine vielseitig erlebbarer Geschichtsverlauf eine Rolle beim annähernden Erreichen der spielerischen Perfektion eine Rolle spielt, darauf soll nun eingegangen werden.
Als Erstes sei kurz erwähnt, was dem Genreprimus Final Fantasy Tactics: War of the lions als einer der spärlichen Kritikpunkte vorgehalten werden konnte: Das mindestens ebenso komplexe und in vielen Punkten ähnlich aufgebaute Spiel leidet (zumindest auf der PSP) an einem unsäglich trägen Gameplay, das sich durch eine vermutlich schwache Programmierung/Portierung und darum viele Slowdowns „auszeichnete“. Konkret heisst das, dass Animationen wie Zaubersprüche oder Angriffe, ja sogar simple gegnerische und eigene Zugbewegungen langsam ausgeführt wurden. Zudem war das Spiel im ersten Drittel beinhart und wurde durch den Erhalt einiger überstarker Charaktere später im Spiel enorm einfach. Eine der grossen Hoffnungen war also, dass sich TO:Luct, immer im Verhältnis zum Genre, flüssig und angenehm spielen wird. An dieser Stelle kann schon ein erster, grosser Pluspunkt vermerkt werden. Die Animationen geschehen unmittelbar nach der Eingabe und auch eine längere Abfolge von gegnerischen Zügen dauert nicht so lange, dass man dazwischen die Zähne putzen könnte. Es ist wirklich bemerkenswert, wie „smooth“ alles abläuft. Der Schreiber des Reviews hat allerdings das Spiel vor dem Start auf den Stick installiert, so dass diese lobenden Worte nur für diese Einstellung gelten (wer diese Möglichkeit aber auslässt ist selber schuld). Ladezeiten gibt es so gut wie keine und auch nach unzähligen Stunden des Spielens konnten keine Slowdowns festgestellt werden.
Die Frage nach dem Schwierigkeitsgrad und der Zugänglichkeit ist eine schwierige. Im Prinzip ist das Spiel exakt so schwer, wie es der Spieler will. Für Genre-Veteranen finden sich genug Herausforderungen während sogar Genre-Neulingen erstaunlich wenige Steine in den Weg gelegt werden. Als erstes erwähnenswert ist das sogenannte „wheel of fortune“, mithilfe dessen man die letzten 50 Spielzüge rückgängig machen kann. Wenn man also aus Versehen mal wieder den Bogenschützen in eine Felswand hat schiessen lassen oder den gestorbenen Magier doch noch rechtzeitig zurückpfeifen will, so kann man das mit dieser nützlichen Rad-Funktion tun. Glücklicherweise merkt sich das Spiel ob und wie oft man am Rad dreht, so dass auch für die Hartgesottenen ein Anreiz besteht, es ohne dieses Helferchen zu schaffen. Ebenfalls durchdacht ist das Klassensystem, das für jeden der zahlreichen Berufe (seien es Runenfechter, Heiler oder Krieger) einen Gesamtlevel einführt. Konkret heisst das, dass ein frisch rekrutierter und unerfahrener Bogenschütze sofort das Level der restlichen Schützen annimmt. Das heisst aber nicht, dass man nun so stets überstarke Kämpfer einfach neu ins Team eingliedern kann, im Gegenteil: Die einzelnen Figuren bekommen für ihre Tätigkeiten auf dem Schlachtfeld sogenannte „battle points“, die nur ihnen selber zustehen. Diese wiederum kann man in Skills (=Fähigkeiten) einsetzen, die den Charakter aktiv oder passiv in den folgenden Kämpfen unterstützen. So hat ein altgedienter Berserker zwar denselben Berufslevel wie ein frisch dazugekommener, ist aber dank seinen gesammelten Punkten und somit gelernten Skills wesentlich fähiger und nützlicher als der Frischling.
Die Lernkurve über das ganze Spiel gesehen ist dabei so ausgewogen und fair wie man dies nur selten so gesehen hat. Gerade die Strategischen Rollenspiele neigen dazu, nur ein zum Leiden bereites Publikum anzusprechen, das Stunden über einer Handvoll Züge brüten will. TO: Luct kommt aber durch viele sinnvolle und nützliche Funktionen dem Spieler entgegen: So kann im Gegensatz zu den vorherigen Releases des Spiels in eine Vogelperspektive gewechselt werden, die in verwinkelten Karten für entscheidende zusätzliche Übersicht sorgt. Es ist auch möglich, von der Standard-Zoomstufe noch ein wenig rauszuzoomen – damit wird das Bild schärfer und man überblickt einen grösseren Teil des Schlachtfeldes. Als wäre das noch nicht genug, kann man den (maximal 12) Kampfteilnehmern des eigenen Teams eine AI-Taktik zuordnen, so dass die selbstständig aufgrund der ihnen zugeteilten Strategie agieren.
Die Geschichte selber entfaltet sich um einen jungen Recken, der sich zusammen mit seiner Schwester in einem Dreifrontenkrieg wiederfindet. Der Spieler selbst hat pro Kapitel eine bis mehrere Entscheidungen zu treffen, die die Story dramatisch verändern. So bewegt man sich entweder im Bereich „lawful“, „neutral“ oder „chaotic“, abhängig von der getroffenen Auswahl. Findige Leser erwarten hier korrekterweise eine Bemerkung zum somit erhöhten Wiederspielwert, doch es kommt noch (viel) besser: Ist das Spiel (ein erstes Mal) abgeschlossen, kann man durch die Chariot-Funktion zu bestimmten Knotenpunkten zurück und eine andere Entscheidung treffen als vorher. Seine mühsam aufgebauten Recken kann man mitnehmen, so dass man die erst spät erlernten, richtig mächtigen Skills noch so richtig geniessen kann. Was Quest uns hier vorsetzt, geht weit über den Bonus hinaus, den man manchmal nach dem „Spielende“ noch so hingerotzt bekommt. Man darf gerne sagen, dass das Spiel nach dem ersten Abspann noch überhaupt nicht zu Ende ist.
Es gibt einen Menüpunkt der anzeigt, wievielte Prozent des Soundtracks man im Verlauf des Spiels schon gehört hat. Wenn die Story beim ersten Durchspielen langsam dem Ende näherkommt und die Musik-Anzeige erst bei knapp 60% steht, dann ist das einerseits ein Indiz dafür, wie umfangreich das Spiel ist, anderseits motiviert es auch dazu, sich die restlichen Stücke auch noch anhören zu wollen. Denn wie nur selten fordert TO:Luct dazu auf, auch beim Spielen im Zug die Kopfhörer an die PSP zu stecken, denn der Soundtrack ist wirklich passend zu einem meisterlichen Spiel wie dieses hier. Dramatische, epische Klänge untermalen das tragische Geschehen in Cutscenes, während so manche Schauplätze ihr eigenes Thema erhalten, das man beim erneuten Kampf in jener Region sofort wiedererkennt. Grosses Ohrenkino hier.
Aus grafischer Sicht gibt es auch viel Gutes zu vermelden: Es ist eine Freude, die Detailverliebtheit und Würde anzuschauen, die aus jeder Faser dieses Spieles strahlt. Alles wurde konsequent im mittelalterlichen Look gehalten und untermalt das Setting zusätzlich. Schöne Zeichnungen der Charaktere treffen auf schlichte Sprites, die etwas ausgearbeiteter hätten ausfallen dürfen. Während beim Final Fantasy Tactics-Ableger für den DS kindliche, bunte und manchmal auch etwas comichafte Figuren eine gute Entsprechung in den Sprites fanden, so denkt man sich bei Tactics Ogre manchmal, dass etwas weniger kindliche Figuren dem ernsten, eher düsteren Spiel besser zu Gesicht gestanden hätten. Nichtsdestotrotz ist gerade in der heraus gezoomten Stufe das Kampfgeschehen sehr schön anzuschauen und zeigt die vielen Details der Landschaften und Gebäude.
Fazit:
Hier im Fazit möchte ich mich als Schreiberling kurz persönlich zu Wort melden: SRPGs sind meine grosse Leidenschaft und dementsprechend ist auch mein Game-Sortiment ausgerüstet. Selten aber habe ich etwas derart gutes und durchdachtes auf einem Handheld gespielt. Tactics Ogre: Luct ist seit vielen Jahren für unzählige Fans weltweit eines der besten Spiele aller Zeiten – und doch schaffte es Quest, dieses Juwel noch einmal aufzupolieren. Zum Zeitpunkt dieses Tests lagen bei mir noch zwei neue Spiele herum: Pokemon: White Edition und Dragon Quest 9. Selbst diese beiden renommierten Gamereihen konnten mich nicht davon abhalten, immer und immer wieder die PSP anzuschalten und mich stundenlang in taktische rundenbasierte Gefechte zu vertiefen. Ich bin sehr glücklich mit diesem Spiel und wünsche mir zutiefst, dass es noch viele weitere Anhänger findet, die der Geschichte rund um Pavel in all ihrem Glanz und ihren Abgründen folgen.
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