Die Darstellung von psychischen Krankheiten in Medien ist bedauerlicherweise weiterhin ziemlich bescheiden. In den letzten Jahren sind zwar grosse Schritte in die richtige Richtung gemacht worden, aber der Weg ist weiterhin lang. Eines der besten Beispiele, wie es gehen sollte, ist Hellblade: Senua’s Sacrifice. Dass die Entwickler dabei nicht einfach nur Glück hatten beweist Ninja Theory mit Senua’s Saga: Hellblade II, einem gelungenen Actionspiel mit Tiefe, genialer Optik und Sound, der unter die Haut geht.
Wie im Vorgänger übernehmen wir erneut die Kontrolle über Senua, einer keltischen Kriegerin, die mit einer Psychosen zu kämpfen hat. Dadurch sieht, hört und empfindet sie generell die Realität anders als andere Menschen. Im Verlauf des ersten Teils hat sie gelernt mit den Stimmen in ihrem Kopf, den Furien, zu leben und umzugehen, sie als einen Teil von sich zu akzeptieren. Dieses Mal verschlägt es Senua nach Island, auf der Jagd nach den Nordmännern, die ihren Stamm und ihren geliebten Dillion abgeschlachtet und geopfert haben.
Natürlich ist dieses Unterfangen einfacher gesagt als getan, denn die Insel im Norden hält mehr Verbündete und Feinde bereit, als sie erwartet hat. Zwar sind die Bjarg, die Wikinger, die Senua's Leute im ersten Teil angegriffen haben, ein ansässiger Stamm, doch die grössere Gefahr geht von den Riesen aus, welche die Bevölkerung jagen und vertreiben. Doch sie trifft auch auf neue Freunde wie Thórgestr, einen misstrauischen Bjarg und Fargrímr, einen Anführer einer Gruppe Überlebender, der viel über die lokalen Bräuche und Mythen weiss. Widerwillig erklärt sie sich bereit, den leidenden Menschen zu helfen, wobei sie ausserdem Hilfe von Islands "verborgenem Volk” erhält.
Mehr möchten wir an dieser Stelle auch gar nicht zur Thematik und Story verraten, denn beide Aspekte sind absolut fantastisch. Ich persönlich habe seit bald 20 Jahren eine psychische Krankheit, die Einfluss auf meinen normalen Alltag hat. Zwar gehören Psychosen nicht zu meinem Krankheitsbild, dennoch bin ich überzeugt, dass Hellblade II die beste Darstellung davon bietet für Menschen, die keinen Bezug dazu haben. Seien es die Furien in ihrem Kopf oder die visuellen Halluzinationen, was präsentiert wird, wirkt authentisch und glaubhaft. Es geht nicht darum Senua wegen ihrer Psychosen als verrückt, schwach, stark oder merkwürdig darzustellen. Sie sind ein Teil von ihr und gehören zu ihrer Persönlichkeit. Die Entwickler haben zusammen mit Professor Paul Fletcher von der Universität Cambridge und Menschen, die Psychosen haben, etwas Unglaubliches auf die Beine gestellt und verdienen dafür endlos viel Lob.
Obendrauf bekommen wir eine tolle Geschichte mit viel Herz und Tränen, die die reichen Mythen Islands mit dem Weg von Senua verbindet. Vieles ist tief miteinander verwoben und die etwa 8-stündige Story wird niemals langweilig oder träge. Das Gameplay hat dabei im direkten Vergleich mit dem Vorgänger wohl das grösste und spürbarste Upgrade bekommen. Immer wieder muss Senua mit den Sklavenhändlern oder den Draugr, wiederauferstandenen Toten, kämpfen. Das immer nur 1 gegen 1. Wer ein Actionspektakel erwartet, könnte enttäuscht sein. Leichte und starke Attacken mit dem Schwert, Parieren und Blocken, sowie ein Fokus, um die Zeit kurz zu verlangsamen sind alles, was in Senua's Repertoire steckt. Die Fights sind unterhaltsam, dienen oft aber nur dazu, den sonstigen Spielfluss ein wenig aufzumischen. Dennoch fühlen sich die Kämpfe gut und besser an, dank der hervorragenden Technik, die das Spiel unter der Haube hat. Besonders die Finisher wirken kraftvoll und brutal. Eine weitere Reflektion von Senua und ihrem Leben. Wer keinen Bock aufs Kämpfen hat, kann die Auseinandersetzungen auch komplett automatisch ablaufen lassen. Es zeigt, dass sie nicht essentiell für das Spiel sind, was jedoch nicht bedeutet, dass sie schlecht sind. Ausserdem müssen viele Rätsel gelöst werden. Erneut muss man Symbole in der Umgebung wiederfinden, um einen Weg zu öffnen. Die meisten Rätsel sind nicht allzu knackig und wer auf seine Umgebung achtet, sollte eigentlich nicht stecken bleiben.
Das Gameplay hält einen bei der Stange, ist aber nicht der Grund, warum Hellblade II viele Trophäen, Awards und Lob einstreichen wird. Wofür es all das aber auf jeden Fall erhalten sollte, ist die technische Seite. Senua’s Saga: Hellblade II, welches wir auf einer Xbox Series X getestet haben, ist wunderschön. Einerseits liegt das an der unglaublichen Detailverliebtheit, die das 80-köpfige Studio in das Projekt gesteckt hat. Kleider, Waffen, Gebäude, Werkzeuge und alles was man in der Welt findet und sieht, strotzt nur so von Authentizität. Es wurde viel Liebe in dieses Spiel gesteckt und das zeigt sich von der ersten bis zur letzten Minute. Dadurch fällt es leicht in dieser Welt zu versinken. Die grafische Qualität macht dies nur noch leichter, denn sie ist auf dem höchsten Level. Obwohl die Story in weniger als 10 Stunden durch ist, könnte ich etliche Momente und Sequenzen aufzählen, bei denen die Kinnlade gar nicht mehr hoch wollte. Wenn auf Island erst einmal die Elemente toben, dann sieht das einfach bombastisch aus. Aber auch die Darstellung der Umgebung ist gelungen und nachdem ich das Spiel inzwischen fast zwei Mal durchgespielt habe, möchte ich das reale Island nur noch mehr besuchen.
Das Lob endet aber nicht bei der Grafik, denn der Sound ist fast noch eindrucksvoller. Der Soundtrack der Nordic-Ritual-Folk Band Heilung passt unglaublich gut und wird sehr effektiv eingesetzt. Die vielen epischen Momente, die einen visuell umhauen, haben eigentlich immer die passende musikalische Untermalung, wodurch sie noch viel einprägsamer werden. Ausserdem wird beim Sound “binaural Audio” genutzt, was im ersten Moment nach einem leeren Schlagwort klingen mag, aber wer den ersten Teil gespielt und gehört hat weiss genau, was damit gemeint ist. Bei “binaural Audio” wird ein Effekt erzielt, den man nur hören kann, wenn man Stereokopfhörer benutzt. Trotz den nur zwei Tonkanälen bekommt man das Gefühl, dass der Sound aus allen Richtungen kommt, was besonders bei den Furien in Senua's Kopf zum Zuge kommt. Sie reden aus allen Richtungen auf einen ein und kombiniert mit dem fantastischen Einsatz von Soundeffekten bietet Hellblade II ein Erlebnis wie kein anderes, wenn man es mit Kopfhörern spielt. Es ist zwar kein Horrorspiel, aber die komplette Soundkulisse schafft es, ein unglaubliches Gefühl des Unwohlseins hervorzurufen. Es ist fantastisch. Besonders eine Szene, in der man unter der Erde unterwegs ist, war für mich absolute Agonie. Ich musste den Sound runterdrehen und nur von der Seite auf meinen Schirm schauen, das Gefühl war so erdrückend.
Zu guter Letzt verdient auch die Performance der Darsteller ein Riesenlob. Allen voran wieder Melina Juergens, die Senua porträtiert. Sie verleiht ihr sowohl ihre Stimme, ihr Aussehen als auch die gesamte körperliche Darstellung. Alle Figuren wurden über etliche Stunden hinweg per Performance Action aufgenommen, um eine möglichst realistische, menschliche Darstellung zu bekommen. Ohne eine Schauspielerin wie Melina Juergens wäre der Effekt nicht annähernd so stark wie er ist und Senua ist mit die beste Videospielperformance, die ich bisher erlebt habe. Aber auch der Rest des Casts hat eine exzellente Arbeit geleistet, seien es die Furien oder die Einwohner Islands, auf die man trifft. Es sind auch diese Performances, die die schon erwähnten Kämpfe so heftig und satt wirken lassen. Einzig einige Voicelines der Furien während den Kämpfen wiederholen sich ein wenig oft. Wenn ich nie mehr in meinem Leben hören muss, dass ich einen Draugr ins Herz stechen muss und dann als Antwort zu hören, dass sie gar keine haben, dann wäre ich glücklich damit.
Fazit:
Senua’s Saga: Hellblade II ist ein unvergleichliches Spiel, dass man einfach gespielt haben muss. Die Figur von Senua ist fantastisch in allen Bereichen, der Darstellung durch Melina Juergens, ihrer Persönlichkeit und ihrem Weg, den sie auf Island macht. Die Actionteile machen ihren Dienst und sind zwar spielerisch nicht weiter der Rede wert, brechen aber im Zusammenspiel mit den nicht allzu schweren Rätseln den Spielverlauf ordentlich auf. Dazu kommt noch ein audiovisuelles Spektakel, das seines Gleichen sucht. Trotz der erwähnten Schwächen ist Hellblade II ein Meisterwerk, das man auf keinen Fall verpassen sollte.
Senua's Saga: Hellblade 2 ist für PC und Xbox Series X erschienen und auch im Game Pass enthalten. Wir haben das Spiel auf der Xbox Series X getestet. Das frühe Test-Muster stammt von Microsoft, wofür wir uns herzlich bedanken!
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