Mit «Hostiles» zeigte sich in diesem Jahr wieder mal ein richtig guter Western in den Kinos. Nicht, dass es diesen gebraucht hätte, um sich auf das neueste Rockstar Monster zu freuen. Dem Western Epos bangten viele Videospieler Monate - gar Jahre entgegen. Wir haben den Hut zurechtgerückt, das Pferd gesattelt und uns auf in den guten alten Westen gemacht.
Tatsächlich schon fast ein ganzes Jahrzehnt ist es her, seit der erste Teil Videospieler auf der ganzen Welt begeisterte. Im Mai 2010 ging es in der Haut von John Marston, einem Gesetzlosen Gangster, quer durch den wilden Westen der vereinigten Staaten. Das Spiel brillierte nicht nur durch das hinlänglich bekannte und erfolgsversprechende GTA Spielkonzept, sondern insbesondere durch die erstklassig umgesetzte Welt. Nie zuvor wurde der Westen im Jahr 1911 dermassen akkurat präsentiert. Die Sogwirkung der virtuellen Steppe war wahrhaftig überragend. Umso grösser die Erwartungshaltung an den lange angekündigten und gar um ein weiteres, halbes Jahr verschobenen zweiten Teil.
Red Dead Redemption 2 spielt einige Jahre vor dessen Vorgänger im Jahre 1899. Diesmal schlagen wir uns mit Arthur Morgan rum. Der Outlaw macht die Gegend mit Dutch van der Lindes Gang unsicher. Zusammen wollen die Jungs und Mädels ein Leben unabhängig von der Regierung und idealerweise von jeglichen Gesetzen führen. Dass dieser Umstand dem Staat nicht wirklich behagt, ist klar. So wurde kurzerhand die Pinkerton-Detektei auf die Bande angesetzt. Daraus resultiert ein stetiges Weiterziehen der Gesetzlosen, um den Hütern des Gesetzes möglichst fern zu bleiben.
Diese der Story geschuldeten Umstände lassen Arthur im Verlauf des Spiels die gesamte Karte bereisen. Das Lager wird immer an neuen Orten aufgeschlagen, um weiterhin unentdeckt zu bleiben. Und hier kommen bereits die ersten Unterschiede zum ersten Teil zum Vorschein: Arthur ist nicht mehr der "lonesome Cowboy" wie John anno dazumal. Stattdessen gilt es sich um das Lager zu kümmern, mit den Banden-Mitgliedern Missionen zu bestreiten und sogar alltägliche Arbeiten für die Gruppe zu erledigen. Letztere halten die Lager-Stimmung im reinen, dazu holen wir Wasser, hacken Holz oder tragen Heu zu dem Getier.
Optionale Tätigkeiten, die nur wenig Spass machen – laufe von A nach B und liefere ab. Um diese Aktivitäten und allgemein die Lageraufenthalte noch etwas behäbiger zu machen, darf Arthur rund um die Zelte der Gang nicht rennen. Das stört zu Beginn nicht, nach einigen Spielstunden beginnt das langatmige durchschreiten aber zu nerven. Übrigens genau wie die netten Kollegen da. Es ist wahrlich keine Seltenheit, dass der gern besoffene Kumpane mit seinem ständigen Gelaber nervt. Darf man wegdrücken, ist dennoch etwas unnötig in dieser Häufigkeit, denn Arthur befindet sich doch ab und an bei der Gang – aus gutem Grund: Das Lager bietet noch weitere Funktionen. So werden mittels Geld Einzahlungen Vorräte aufgestockt und das Lager aufgewertet bzw. erweitert. Das schaltet wiederum eine Schnellreise Funktion frei oder die Vorräte an Medizin und Munition erweitert sich.
Der Spielablauf ansonsten verhält sich GTA typisch. Missionen erhalten wir von in der Gegend verstreuten NPCs. Somit tauchen diese erst im weiteren Verlauf des Spielfortschritts auf der eigenen Karte auf. Glücklicherweise reduzieren sich die Aufgaben nicht auf «geh zu Ort x und leg alle Typen um». Da retten wir jugendliche vor religiösen Fanatikern oder werden zum Postbote zwischen Liebenden. Auch ein erstklassig inszeniertes Saufgelage wartet auf die Cowboys. Selbstverständlich warten auch unzählige Möglichkeiten, den Revolver des Vertrauens zu nutzen. Die Schiessereien sind gelungen, gehören aber gameplay technisch sicher nicht zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Da hilft auch der Slow-Motion Modus Dead-Eye nicht, zumal wir jenen genau wie die eigene Energie-Leiste mittels Essen und Tinkturen stets auffüllen müssen.
Obiger Umstand liegt an der kurios präsentierten Welt. Einerseits wird Realismus grossgeschrieben, andererseits zwingt Rockstar den Spieler während laufenden Missionen in ein sehr enges Korsett. Das wirkt sonderbar. Denn die gesamte Welt ist frei begehbar und lässt uns an die totale Freiheit glauben. In Missionen aber sollte man den eigenen Helden möglichst dem roten Faden folgen lassen. Bloss nicht zu weit raus bewegen oder einen Lösungsansatz versuchen, der vom Spiel nicht so vorgesehen ist. Sonst heisst es schneller Game Over, als Lucky Luke den Revolver zieht. Glücklicherweise gibt es diverse Check Points. Wer sich mit diesem Spielprinzip der sehr restriktiv anzugehenden Missionsstruktur anfreundet, wird mit viel Abwechslung, unterhaltsamen Dialogen und tollen Action-Sequenzen belohnt. Vorallem aber einem toll inszenierten Spiel, das oft einem Hollywood Streifen nahekommt.
Ausserhalb von Missionen gibt es Rockstar typisch unzählige Dinge zu erledigen. Von Poker und Black Jack über Domino bis hin zum Jagen und Kopfgeld eintreiben. Wir besuchen das Theater oder ein Kino, gehen auf die Jagd, fischen, liefern uns Schlägereien im nächsten Saloon, helfen Schriftstellern und Erfindern und vieles mehr. Nicht vergessen sollte man aber auch, den eigenen Helden einmal täglich essen zu lassen. Sonst wird der gute Mann unter- oder bei zuviel Nahrungszufuhr gar übergewichtig. Genauso gilt es ab und an den Barber zu besuchen oder selbst den Rasierer in die Hände zu nehmen – ansonsten sieht Arthur bald dem Weihnachtsmann zum Verwechseln ähnlich. Auch der eigene Gaul will gefüttert, gestreichelt und gestriegelt werden. Dadurch steigt die Verbundenheit zu ihm und es lassen sich neue Aktionen durchführen. Um den Bezug zum Vierbeiner noch weiter zu erhöhen, dürfen wir diesen nach eigenem Gusto benennen und mit unzähligem Sattel- und Zaumzeug ausstatten. Das gilt nicht nur für das Pferd, auch Arthur selbst bedient sich im Klamotten-Laden diverser modischer Stücke aus dem Jahre 1899 – gegen Bezahlung, versteht sich.
Der aufgedrückte Pseudo-Realismus im Spiel ist leider nicht immer einem flüssigen Spiel förderlich. So verstaut Arthur automatisch seine Gewehre und den Bogen auf dem eigenen Pferd, sobald er jenes reitet. Steigt er aber ab, müssen wir manuell das gewünschte Arsenal mitnehmen. Das Pferd muss stets gefüttert werden, um weiterhin Energie für längere Ausritte zu haben. Steht es aber alleine auf weiter Flur auf einem Feld, würde es dem Gaul nicht selbst einfallen, sich während der Wartezeit am leckeren Gras zu laben. Dass Arthur zudem stets essen sollte, kostet zwar nur wenige Sekunden, nützt dem Spiel aber nichts. Allgemein ist die Statusanzeige wenig übersichtlich. Wieso muss der Western-Held einerseits den Gesundheitskern, als auch den umhüllenden Ring auf Vordermann halten? Dass sich Athur nur äusserst behäbig durch das Camp bewegt, ist weiter oben bereits erwähnt. Dann sind da noch die Zeugen, oder allgemein komische Script-Ereignisse.
Ein Beispiel: Wir reiten gemütlich durch die Gegend, da schreit eine holde Weiblichkeit um Hilfe. Ihrerseits am Vierbeiner eines Entführers festgebunden. Also halten wir den Fiesling an und konfrontieren den Mann. Jener zückt die Waffe, worauf wir uns mit der eigenen Knarre zu wehren wissen und siegreich aus dem Duell gehen. Jetzt befreien wir die Dame vom Gaul, jene schreit blöd rum und bezichtigt uns als Mörder, rennt kurzerhand davon. Jetzt müssen wir sie wieder mühselig einfangen und fleissig drohen, dass sie auch bitte die Klappe halten soll, wir erschiessen Sie direkt mit oder bezahlen artig das nun fällige Kopfgeld beim nächsten Postschalter. Dabei wollten wir doch nur helfen… Solche Ereignisse sind mal lustig, mal aber auch schlicht nur ärgerlich. Beispiel: Kaum haben wir ein nur schwer zu findendes, perfektes Fell auf den eigenen Vierbeiner geschnallt erscheinen vier grölende Gauner und nehmen uns kurzerhand und unerwartet ins Kreuzfeuer. Der Game Over Screen wartet und die Fell-Jagd war komplett sinnbefreit.
Wer den Text bis hier hin liest wird sich unter Umständen die Frage stellen, ob man diesem so hochgelobten Titel überhaupt eine Chance geben sollte. Bevor hier andere Gedanken aufkommen, die Antwort darauf ist ein glasklares «ja». Zwar hat Red Dead Redemption 2 einige Gameplay-Facetten, die unnötig Spielfluss aus dem ansonsten fantastisch präsentierten Setting nehmen, aber die präsentierte Welt zieht einen in Sekunden in ihren Bann. Nie zuvor haben wir eine derart detailverliebte virtuelle Umgebung betrachtet. Jeder Stein, jeder Baum scheint handversetzt zu sein – kein Vergleich mit den generischen Ubisoft Welten. Die NPCs führen ihre eigene Leben, bewegen sich gefühlt frei durch die Städte und erschaffen ein extrem stimmiges und glaubhaftes Gesamtbild, das schlicht seines Gleichen sucht. Audio-Visuell ist Rockstar hier ein echtes Kunststück gelungen. Dies im Zusammenhang mit den zig abwechslungsreichen Aufgaben und den erstklassig geschriebenen, oft verrückten Charakteren ist letztendlich ein Videospiel-Hochgenuss.
Fazit:
Red Dead Redemption 2 macht es uns Spielern nicht einfach es zu lieben, und doch ist es so leicht, sich darin zu verlieben. Vom ersten Augenblick an hat mich das Spiel gefesselt und gebunden. Ich fühle mich wie in einer Western-Simulation. Das Spiel schafft es, mich den Alltag um mich herum komplett vergessen zu lassen. Dennoch hätte ich ab und an etwas weniger Simulation zugunsten von einem besseren Spielfluss bevorzugt. Die Liebe zum Spiel wäre dadurch noch grösser geworden. So bleibt ein Alltime Top Ten Titel, der aber mit etwas mehr Feinschliff und vor allem einem weniger straff geschnürten Korsett auch mit dem Gameplay hätte Massstäbe setzen können. Western Fans finden hier dennoch die persönliche Videospiele-Offenbarung. Wer bislang seine Mühe mit Rockstar Titeln hatte, dürfte aber auch mit RDR2 nur schwer warm werden. Für mich persönlich ist das Spiel in meinen all time Favorites angesiedelt, und dass trotz der durchaus vorhandenen Mängel. Denn die unzähligen positiven Eigenschaften lassen mich diese Patzer komplett vergessen, sie interessieren mich während dem Spielen schlicht nicht. Wer sich auf Red Dead Redemption 2 einlässt, erhält als Gegenleistung einen Traum von einem Videospiel.
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