Am 11. März 2015 erschien ein Spiel für Xbox One, das unsere Herzen im Sturm eroberte. Presse und Spieler waren sich einig: Ori and the Blind Forest war - und ist - ein zeitloses Kunstwerk und zählt bis heute zu den besten Metroidvania-Vertretern. Nach langem Warten und zwei Verschiebungen erscheint nun exakt 5 Jahre später – ebenfalls am 11. März - der heiss ersehnte Nachfolger.
Eigentlich ist die Welt für den kleinen, quirligen Schutzgeist Ori gerade voll in Ordnung. Die Dunkelheit wurde vertrieben und er lebt mit dem dicken Naru, Ulknudel Gumo und der kleinen Baby-Eule Ku zufrieden im Nibel-Wald. Die drei kümmern sich sehr herzlich um den kleinen Flattermann, auch wenn der nicht richtig flattern kann. Denn Ku’s rechtem Flügel fehlen einige Federn. Fliegen ist damit so gut wie unmöglich. Wir erleben in kurzen Rückblenden wie liebevoll Ku zum kräftigen Eulen-Teenager heran wächst. Dank einer zündenden Idee und etwas Klebeband kann Ori seinem Freund sogar helfen, seine ersten Flugversuche als junger Eulerich erfolgreich zu meistern. Als Dank nimmt ihn Ku auf seinen Jungfernflug mit, der natürlich mit einer Katastrophe endet. Die beiden stürzen mitten im Niemandsland ab und werden getrennt. Unsere Aufgabe ist klar...
Die ausschweifende Suche nach dem kleinen Federfreund führt uns abermals durch wunderschöne, handgezeichnete Levels. Düstere Höhlen, frostige Eisregionen, Unterwasserwelten und trockene Wüstengebiete erschliessen sich uns nach und nach, je nachdem welche Upgrades wir unterwegs ergattern, die zum Weiterkommen nötig sind. Eine klare Linie ist nicht vorgegeben, der Weg ist das Ziel. Das bringt zwar viel Trial-and-Error mit sich und die Sucherei kann ab und zu etwas länger dauern als erhofft. Dank einer punktgenauen, eingängigen Steuerung, die wunderbar locker und flockig von der Hand geht, kommt aber selten Frust auf. Dass erledigte Gegner nach kurzer Zeit wieder erscheinen stört dabei nicht, schliesslich hinterlassen sie immer wieder wertvolle Orbs. Von denen kann man nie genug haben! Diese tauschen wir im Shop gegen neue Upgrades, Waffen und Fähigkeiten oder vergrössern permanent die Lebensenergie und Mana-Vorräte.
Wie im ersten Teil wird die Levelkarte automatisch mitgezeichnet. So lässt sich schnell erkennen, wo man noch nicht gewesen ist. Sammelkram wird ebenfalls markiert. Beim schrulligen Kartographen Lupo kann man sich gegen ein paar Orbs die Maps komplettieren lassen, worauf sich noch das eine oder andere Secret oder eine Abkürzung zu erkennen gibt. Auf unserer Reise treffen wir erneut viele schräge und liebenswerte Charaktere, von denen einige auch Side-Quests anbieten. Meist sind das aber nur irgendwelche Fetch-Quests. Herzallerliebst ist wieder das vielfältige Design von Freund und Feind, was für so manchen Lacher sorgt.
Eindrücklich sind die meist bildschirmgrossen, butterweich animierten Bossgegner. Mit der richtigen Bewaffnung, gutem Timing, etwas Training und einer kleinen Portion Glück sind sie aber gut zu meistern. Überhaupt scheint das Spiel etwas leichter als Teil 1 zu sein, was sicher dem Umstand geschuldet ist, dass viele Spieler damals über den Schwierigkeitsgrad gemeckert hatten – und im Anschluss von den Entwicklern ein Easy-Mode ins Spiel gepatcht wurde. Dieser ist in Ori and the Will of Wisps bereits von Anfang an mit dabei, für alle, die sich lieber auf die Story konzentrieren. Dass Ori 2 damit leicht ist wäre aber gelogen. Selbst im Easy-Mode gibt es immer wieder einige ziemlich haarsträubende Passagen. Umgebungs- und Physik-Rätsel sind auch wieder mit dabei, wobei einige davon recht unkonventionelles Denken voraus setzen.
Neu in Ori 2 ist das «Shard-System», mit welchem sich die erworbenen Fähigkeiten dem bevorzugten Spielstil anpassen lassen. Wer die Kristallsplitter klever einsetzt, kann sich zumindest die Kämpfe noch ein bisschen einfacher gestalten. Je nach Gusto wird entweder der Nah- oder Fernkampf gepimpt, die Sprungweite oder -Höhe angepasst oder man macht einen auf «Panzer» und investiert in massig Schilde und Lebensenergie. Für die Shards stehen anfangs drei Steckplätze zur Verfügung, weitere lassen sich später freischalten. Praktischerweise können ausgerüstete Shards jederzeit und ohne Einbussen durch andere ersetzt werden. So lässt sich prima mit den unterschiedlichen Fähigkeiten experimentieren. Viele Situationen setzen dies gar voraus, denn nur mit der richtigen Kombination der Shards lassen sich gewisse Level-Abschnitte meistern.
Neuerdings sind auch Speed-Run Herausforderungen in den Levels versteckt, wo sich der geübte Spieler gegen Geisterwesen der Entwickler haarsträubende Wettrennen auf Zeit liefern darf. Nichts für schwache Nerven! Es lohnt sich aber, da die Belohnungen meistens sehr grosszügig ausfallen. Belohnungen gibt es auch für die zahlreichen Sammelobjekte. Mit speziellen Samen wird der Maki-Garten zum Blühen gebracht, blaue Kristalle helfen beim Ausbau des Dorfs und mit Gewürzen lässt sich ein hervorragendes Süppchen kochen. Der Sammelkram ist meist ziemlich gut versteckt und nur mit speziellen Skills und Joypad-Akrobatik zu ergattern. Ideal also, um euch nach dem Spiel-Ende noch einige Stunden zu beschäftigen.
Fazit:
Ich bin ehrlich, ich habe Ori and the Blind Forest zwar geliebt, beendet habe ich es aber nie. Schande über mich! Es war mir einfach einen Tick zu schwer. Ich hole das aber jetzt bestimmt noch nach, Easy-Mode sei Dank. Jener ist in Ori 2 von Anfang an mit dabei, wobei auch der nicht von schlechten Eltern ist. Einfach ist das Spiel nicht gerade, Frust kommt glücklicherweise aber kaum auf. Höchstens dann mal, wenn eines der verflixten Physik-Puzzles nicht so recht funktionieren will. Bei einigen Rätseln muss man schon ziemlich um die Ecke denken. Nicht selten habe ich an meinem Lösungsansatz ernsthaft gezweifelt, gefühlt 100-mal erfolglos etwas probiert, nur um dann später festzustellen, dass meine Gedankengänge doch die Richtigen waren. Es fehlt manchmal auch an Hinweisen, was als nächstes zu tun ist, oder wo sich das nächste Ziel befindet. So irrt man öfters planlos durch die Gegend, was nicht hätte sein müssen. Das ist aber nur ein kleiner Kratzer im Lack, denn ansonsten macht Ori 2 erneut alles richtig. Wunderschöne Grafik, sensationelle Musik, eine perfekte Steuerung und viele überraschend frische Gameplay-Ideen entfalten eine Sogwirkung, wie man sie in diesem ausgeluschten Genre nur noch selten erleben darf. Die Hingabe und Liebe der Entwickler sind in jeder Faser dieses spielgewordenen Kunstwerks spürbar. Kompliment, ich hätte nicht gedacht, dass man den ersten Teil noch toppen könnte!
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