Wenn grosse Erzähler, perfekte Zeichner, weltbekannte Komponisten und geschickte Game-Entwickler die Köpfe zusammenstecken, dann ist meist Grosses zu erwarten. Genau, die Rede ist von Ni No Kuni: Der Fluch der weissen Königin. Hat sich hier Level 5 mit der Zusammenarbeit mit Studio Ghibli und Joe Hishaishi, Komponist von vielen bekannten Ghibli-Filmen, einen Gefallen getan?
Kein Brutalo Shooter mit grosschnäuzigen US-Marines oder Special Ops Machos, keine Prostituierten, kein metrosexueller RPG-Dödel mit einer Riesen-Machete, keine wahnsinnigen Serienkiller oder Vergewaltiger. Nein, denn Ni no Kuni: Der Fluch der weissen Königin spielt in einem ganz anderen Universum. Der Held, Oliver, ist nämlich ein ganz normaler Junge, der völlig lebensfroh und abenteuerlustig ist, ein normales Kind in Jeans und mit zerzausten Haaren, so wie es wir Jungs auch mal waren. Genau deshalb schickt das Entwickler-Team um Level 5 und Studio Ghibli einen Jungen ins Spiel, ohne grosses Tamtam; Sie möchten nämlich eine Geschichte erzählen, in der sich der Junge von seinen Ängsten trennt und langsam anfängt Verantwortung zu übernehmen. Dies, wie schon angedeutet ohne Kitsch oder übertriebene Action und Special Effects. Dafür mit einem simplen, aber auch wunderschön unverwechselbaren Art-Design aus dem Hause Ghibli, bekannt für Anime-Toptitel wie Spirited Away, Prinzessin Mononoke, Mein Nachbar Totoro, oder auch Ponyo – Das Abenteuer am Meer. Endlich kommen wir im Westen auch in den Genuss, so ein Rollenspiel zu spielen.
Auf den ersten Blick bekommen wir hier ein interaktives Märchen, welches für Rollenspiel-, Japan- und Animefans bestimmt ist, doch beim genaueren Hinsehen, ist es viel mehr als das, nämlich eine wunderschöne Geschichte für Jedermann und –frau jedes Alters, die gekonnt und sanft das Kind im Spieler weckt, dessen Phantasie anregt und zusätzlich ein Stück des unvergleichlichen Charmes der alten Konsolen-Generationen zurück auf den Bildschirm bringt. Wow, was für ein Spiel, denkt Ihr Euch jetzt. Willkommen in der Welt von Ghibli.
Klar, es gibt auf Olivers Weg auch sehr gruselige oder traurige Ereignisse - so kommt der erste „Wo sind die Taschentücher“ – Moment eigentlich schon ein paar Minuten nach dem Start des Spiels. Olivers Mutter stirbt an ihrem Herzleiden. Schon wie in vielen anderen, ähnlichen Geschichten wird die Hauptfigur aufgrund einer solch harten Erfahrung zum Held. Das heisst jetzt nicht, dass Oliver jetzt ein Cape umschnallt um zu Fliegen oder sich eine Maske anzieht um nicht erkannt zu werden. Nein, das heisst einfach, dass Oliver sich alleine auf den Weg machen muss. Aber nicht ganz alleine, denn nach dem Tod seiner geliebten Mutter ist eine niedliche Fee namens „Tröpfchen“ erschienen und behauptete, dass es einen Weg gäbe Oliver’s Mutter wieder zurückzubringen. Sofort macht sich ein übermotivierte Oliver mit seinem neu gefundenem Freund und Begleiter „Tröpfchen“ auf den Weg in die sagenhafte Welt von Ni No Kuni.
Ni no Kuni ist die Heimat von „Tröpfchen“ und er braucht die Hilfe von Oliver, denn Oliver ist der Auserwählte (orig. der „Reinherzige), der die Bewohner von Ni no Kuni vor „Dschinn Shadar“, einem richtigen Bösewicht, der es auf die Herzen der Bewohner abgesehen hat, befreien muss. Falls Oliver dies schafft, so wird er seine geliebte Mutter wieder in die Arme schliessen können, dies zumindest wenn man dem kleinen Wicht mit der Riesennase Glauben schenken soll….
Der Dschinn beschehrt vielen der Bewohner von Ni no Kuni ein gebrochenes Herz, weshalb es den Bewohnern an Motivation, Liebe, Enthusiasmus und sonstigem fehlt. Mit ein wenig Magie eures Begleiters könnt ihr den Bewohnern von Ni No Kuni, was übrigens übersetzt „die andere Welt“ heisst, ein wenig Herz geben oder auch nehmen, z.B. mit dem Zauber „Herz empfangen“ könnt ihr z.b. einen übereifrigen Soldaten ein wenig der emotionalen Substanz entziehen und mit dem Zauber „Herz schenken“ könnt ihr z.B. den Torwächter einer Stadt dazu motivieren, das Tor zu öffen usw. Im Lauf des Spiels könnt ihr damit viele Patienten „heilen“, damit diese wieder mehr Güte, Mut, Offenheit oder andere Emotionen an den Tag bringen können. Ihr vitalisiert sozusagen damit ganze Städte.
Ein bisschen Neues, ganz viel Altes. So könnte man das Spiel beschreiben und das ist auch sehr gut so. Magie spielt eine grosse Rolle: Bevor Oliver nämlich zu seiner grossen Reise antritt, erhält er von Tröpfchen ein dickes, magisches Buch, seinen magischer Begleiter sozusagen, der die Türen zur Welt von Ni no Kuni öffnet. Falls ihr euch übrigens die limitierte „Wizard Edition“ von Ni No Kuni gegönnt habt, dann erhaltet ihr genau dieses Buch, welches euch auf eurer Reise mit magischen Sprüchen, Erklärungen und Zeichnungen unterstützt. Sobald ihr mit Oliver und Tröpfchen die Abreise angetreten und die Tore zur anderen Welt geöffnet habt, tretet ihr in eine Welt voller Metaphern und auch sogenannte Easter Eggs, wo sogar eingefleischte Ghibli-Fans die Augen offen halten müssen um keinen dieser versteckter Hinweise zu übersehen.
Im Laufe des Spiels macht Oliver Bekanntschaft mit einem Drachen auf wessen Rücken die Gruppe dann die Karte bereisen und entdecken kann. Ähnlich wie in JRPG-Klassikern, z.B. Final Fantasy VII bis IX, bereist ihr in der „von oben“ – Ansicht die frei begehbare Karte der Oberwelt, mit ihren liebevoll gezeichneten Dörfern und anderen wichtigen Orten und Gebieten um jeweils gestellte Aufgaben zu erfüllen oder einfach um auf Erkundungstour zu gehen. Auch hier lassen sich eure Spielfiguren aufleveln und mit speziellen Gegenständen aufrüsten
Mit vielen kleinen Rätseln, wie z.B. eine Fackel anzünden um die Türe zu öffnen, Schleichabschnitten oder auch eine Vielzahl an verschiedenen Monster, wird Euch die Zeit schnell davonlaufen. Eure Feinde sind jederzeit auf der Karte sichtbar und falls ihr es schafft diese von hinten anzugreifen, so könnt ihr mit einem Erstschlag einen wichtigen Vorteil für den kommenden Kampf erschaffen. Im Kampfmodus wechselt hier die Ansicht und man kann sich während des Kampfes in Echtzeit in einem beschränkten Spielfeld bewegen und zwischen einer von sechs verschiedenen Angriffstechniken wählen (Angriff, Zauber usw). Jede dieser Taktik hat teils sehr grosse Einträge, dh. viele Möglichkeiten um die genau Taktik zu wählen. Kurz bevor Oliver den Löffel abzugeben scheint, könnt ihr euch z.b. ein Sandwich aus Olivers „Nimmervollen Beutel“ zu Gute führen und euch so die Lebensenergie wieder auf Vordermann bringen.
Während des Kampfes pausiert das Spiel während ihr euch eure Taktik zusammenstellt. Falls euer Gegner zu einer Attacke ausholt, könnt ihr über den Befehl „Verteidigung“ direkt in den Defensiv-Modus wechseln. Hierzu kommt, dass Ihr nicht 2x hintereinander den gleichen Befehl sofort ausführen könnt, da Oliver auch mal durchschnaufen muss. Die lieben Gegner lassen während des Kampfes häufig sogenannte Essenzen fallen, damit Ihr Eure Lebensenergie (LP, grün) oder Magiepunkte (MP, blau) wieder auffüllen könnt.
Nach ein paar Spielstunden bekommt Oliver und Tröpfchen Verstärkung von Ehster und Sven, welche ihr wahlweise auch steuern könnt, während euch der Rest der Truppe einfach folgt, während Angriffen jedoch auch selbstständig Gegner angreift und ihr auch wählen könnt ob die CPU-Kameraden dann gleich das stärkste oder schwächste Monster angreifen sollen. Später im Spiel könnt ihr sogar mit Oliver und Co. Monster zähmen und à la Pokemon und Co. auf die Gegner loslassen. Für gewonnene Kämpfe gibt’s natürlich neben all den Goodies auch noch Bares, welches ihr dann in den Städten für Proviant, Waffen oder magische Items ausgeben könnt. Habt Ihr zuwenig Bares, könnt Ihr jederzeit ein Side-Quest starten.
Technisch ist Ni no Kuni: Der Fluch der weissen Königin ein Feuerwerk und das nicht nur ambitionierte RPG-Fans und Anime-Liebhaber, sondern auch für Neulinge in diesem Genre. Der Charme der Figuren und Detailreichtum und Fantasie der Umgebung, gekrönt von pompösen Konstruktionen und fantasischem Soundtrack wurde perfekt abgestimmt, auch im Vergleich zu Olivers Welt gab es keinerleit Stilbrüche, alles scheint perfekt abgestimmt. Die Animationen sind wuchtig und flüssig animiert und laufen jederzeit ohne ein Ruckeln über den Bildschirm.
Soundtechnisch wurde von Joe Hisaishi ein grandioser Soundtrack kreiert, welcher vom Toyko Philharmonic Orchestra eingespielt wurde und einen erheblichen Teil zum märchenhaften Ambiente des Spiels beiträgt. Jede Handlung wird passend musikalisch unterstützt, mal bombastisch, mal mit viel Gefühl. Die Synchronisations wurde sehr glaubhaft aus dem Japanischen übersetzt und vertont. Optisch ein Schmankerl sind vor allem auch die Zwischensequenzen, diese sind komplett in gewohnter Studio Ghibli Qualität und wurden alle handgezeichnet und dann auf den Computer übertragen um nachbearbeitet zu werden. Heutzutage definitiv nicht mehr selbstverständlich aber sehr geschätzt.
Das Rollenspiel erschien in Japan unter dem Titel Ni no Kuni: Shikkoku no Madoshi (etwa: Der Stahlschwarze Magier) bereits 2010 auf Nintendos DS. Mit Ni no Kuni: Shiroki no Joo (etwa: Die Königin der weissen, heiligen Asche) handelt es sich um eine stark verbesserte und für die PS3-optimierte Version, die mindestens 30% mehr Umfang hat als das Handheld Pendant, mit vielen neue Charakteren und Modifikationen im Kampfsystem, sowie natürlich diverse zusätzliche und neu arrangierte Kompositionen.
Ni no Kuni: Der Fluch der weissen Königin kann man wahlweise in Japanisch oder Englisch spielen, für eine deutsche Tonspur hat es leider nicht gereicht. Ist nicht weiter schlimm, aber hätte das Spiel einem noch grösseren Publikum näher gebracht.
Fazit:
Ni no Kuni hat das geschafft, wo andere kläglich versagt haben: Mich vor ein Rollenspiel zu locken. Ich hatte eine solche Vorfreude auf diesen Titel, obwohl ich nie der RPG-Spieler war, zu sehr sind 3D Shooter, Action-, Racing –und Plattformer eher meine Sparte. Täglich habe ich mich danach gesehnt, wieder in die Welt von Oliver und Tröpfchen einzutauchen. Ni no Kuni lässt dich abtauchen in eine Ghibli-Welt voller Mythen, Magie, liebevollen Charakteren und das verpackt in eine sensationelle Optik und einem bombastischen Soundtrack. Jeder, der schonmal Kontakt mit einem Rollenspiel und/oder einem Ghibli Film hatte, muss Ni No Kuni spielen.
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