Mit Mother Russia Bleeds erwecken Entwickler Le Cartel und Publisher Devolver Digital ein totgeglaubtes Genre zu neuem Leben, nämlich das der Beat-Em Ups. In den frühen 90er Jahren war diese Art von Spiel total in und wir erinnern uns gerne an unsere Zeit mit Streets of Rage, Double Dragon oder Final Fight. Wem das auch so geht sollte weiterlesen.
Mother Russia Bleeds ist ein Spiel für Nostalgiker, für Retro-Fans. Wer in jungen Jahren mit Mega Drive, Super Nintendo oder in der Spielhalle gross geworden ist, fühlt sich hier gleich heimisch. Das grosse Vorbild ist ganz offensichtlich Streets of Rage, bloss mit einer zusätzlichen Dosis Blood-and-Gore. Einer sehr grossen, zusätzlichen Dosis, denn was hier an rotem Lebenssaft und abstrakten Gewaltpraktiken über den Bildschirm flimmert sucht seines gleichen. Gleichzeitig ist genau diese überzeichnete Gewaltdarstellung einer der grossen Sellingpoints von Mother Russia Bleeds. Da werden Junkies mit Baseballschlägern malträtiert, alte Landstreicher durch Mähdräscher gehexelt, satanistische, maskentragende S/M-Anhänger mit Kondom-Maschinen erschlagen und sogar vor Tieren wie Schweinen wird kein Halt gemacht.
Es gibt tonnenweise Items die als Waffe gebraucht oder vielmehr missbraucht werden dürfen, von Stühlen, über Flaschen, Holzlatten, Fleischkeulen, Feuerlöscher, Granaten, Kettensägen bis hin zu Handfeuerwaffen, um nur mal einen Bruchteil davon zu nennen. Der Einsatz dieser Bonus-Gegenstände hinterlässt manchmal brutale Spuren in den Reihen der Gegner. Die überaus sauber und flüssig animierte Pixelpracht ist obendrein extrem detailliert, gerade wenn es um diese Gewaltdarstellung geht. Selbstredend sollte man eine grosse Portion schwarzen Humor mitbringen oder einfach diese Art von Spiel mögen, um es zu geniessen.
Mother Russia Bleeds bringt aber auch einen eigenen Twist ins Spiel, nämlich die unfreiwillige Drogenabhängigkeit der Hauptcharaktere. Zu Beginn werden unsere Helden in ein unterirdisches Versuchslabor der bösen Buben geworfen. Dort experimentiert man an ihnen mit einer neuartigen Droge herum, die offensichtlich für stärkere und ausdauernde Soldaten sorgen soll. Dumm nur, dass dem Quartett dank genau dieser Droge die Flucht gelingt und diese sogleich auf Rache sinnen. Dumm auch, dass diese Abhängigkeit vom Spieler verlangt, sich in regelmässigen Abständen einen nötigen Schuss zu setzen. Wer dies versäumt streicht frühzeitig die Segel. Aber keine Angst, für Nachschub ist gesorgt. Das notwendige, giftgrüne Serum kann nämlich kurzerhand von besiegten Feinden extrahiert werden. Dies benötigt natürlich etwas Zeit, in welcher wir ziemlich ungeschützt sind. Man sollte sich also vorher aller Feinde auf dem Bildschirm entledigen.
Abseits davon bietet das Gameplay nicht mehr oder weniger als das, was man von einem Sidescroller Beat-Em Up erwartet: Leicht zugängliche Retro-Action-Kost, die vor allem im Tandem mit einem Freund für Spass sorgt. Wir wählen zu Beginn einen von vier Kämpfern (der ausbalancierte Standard-Typ, der muskelbepackte Tank-Typ, der hagere durchgedrehte, fiese Typ und eine weibliche Power-Lesbe mit grazilen Katzenmoves) und prügeln uns durch abwechslungsreiche Gebiete wie Gefängnis, Labor, S/M-Club oder Untergrund-Rave, an deren Ende jeweils ein Bossgegner wartet. Zu Beginn ist der Schwierigkeitsgrad noch ein Witz, zieht dann aber plötzlich enorm an.
Gute Nerven und Reflexe werden benötigt, um die rund zwei Stunden lange Kampagne zu beenden. Diese kann übrigens nicht nur zu zweit, sondern sogar zu viert im Couch-Koop gespielt werden. Leider fehlt noch ein Online-Koop Modus, der hoffentlich nachträglich via Patch integriert wird. Wer keine Freunde hat (solls ja geben), der kann auch einen KI-Kumpel verpflichten. Dieser ist allerdings mehr oder weniger dumm wie Brot, steht öfter mal im Weg herum und benötigt ein halbes Jahrhundert, um die eigene Spielfigur wieder zum Leben zu erwecken, wenn man hilflos und geschlagen am Boden liegt. Wer die Story durch hat darf sich an einem Survival Modus versuchen und wer dort die 10 Gegnerwellen bewältigt, kriegt zur Belohnung eine neue Wunder-Droge, deren Effekte und Nebeneffekte (LOL) man im Story-Modus ausprobieren darf.
Fazit:
Lange habe ich mir wieder ein solches Spiel gewünscht. Ich hatte in meiner Zeit im kaputten Russland eine Menge Spass, auch dank der überrissenen Gewaltdarstellung, die genau meinen Geschmack in Sachen „kranker Humor“ trifft. OK, die Pixel-Grafik gehört jetzt nicht zu der schönsten ihrer Art, aber dafür ist alles wunderbar animiert und extrem detailreich gestaltet. Da wurde viel Zeit und Liebe investiert! Man kann sogar einen Bildschirmfilter aktivieren, der einen alten Röhrenmonitor simuliert, inklusive Scanlines, Bildschirmkrümmung und verschwommenen Rändern. Für mich als Genre-Fan ist Mother Russia Bleeds eine kleine Offenbarung, ein Pixel-Juwel, mit dem ich wunderbar in Erinnerung schwelgen und Spass in kurzen Schüben haben kann. Eben genau so wie damals, als ich meine Kohle noch in Arcade-Automaten versenkt habe.
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