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AutorenbildSascha Böhme

The(G)net Review: Lost Judgment

SEGA hat es sich zur Tradition gemacht, zwischen der Yakuza-Serie, die seit dem siebten Teil neuerdings auf JRPG-Kurs ist, und dem actionorientierten Judgment abzuwechseln. Die Fortsetzung, Lost Judgment, baut auf dem Original auf, verfolgt aber einen etwas anderen Ansatz und verbessert zahlreiche Mängel.


Lost Judgment Test Review Xbox Series

Dezember 2021, Bezirksgericht in Tokio. Akihiro Ehara wird der sexuellen Belästigung einer Frau angeklagt. Der Tatort: eine überfüllte U-Bahn. Bei seinem erfolglosen Versuch, vom Tatort zu fliehen, wird Ehara gefilmt. Das Video ist überall in den Nachrichten und die aufgebrachte Öffentlichkeit verlangt die Höchststrafe. Nur wenige Tage davor haben Feuerwehrleute in einem leer stehenden Gebäude in Yokohama eine Leiche gefunden und Ehara scheint auch hier seine Finger im Spiel zu haben, wie er selbst während der Gerichtsverhandlung zu gibt. Seine Strafverteidigerin ist überrascht aber überzeugt, dass in dem Fall wichtige Einzelheiten übersehen wurden, da Ehara ja nicht des Mordes angeklagt ist. Sie will das alles näher untersuchen und wendet sich deshalb an unseren Superdetektiv Yagami-Shi. Wie sich später herausstellt, handelt es sich bei der Leiche um den Sohn eines Lehrers, der Eharas verstorbenen Sohn belästigt haben soll. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Schwungrad dreht sich und Yagami und seine Freunde finden sich schon bald im Zentrum eines verstrickten Geflechts von Verbrechen wieder, das es zu entwirren gilt.


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Lost Judgment ist wie zuvor kapitelweise aufgebaut, aber die erzählerischen Mittel und Spielmechanismen haben sich geändert. Die Geschichte selbst entfaltet sich zu Beginn nur sehr langatmig. Man muss schon viel Geduld mitbringen, denn bis die Story Fahrt aufnimmt dauert es eine ganze Weile. Alles ist viel verworrener und verwirrender als noch im ersten Teil. Es ist aber nicht unbedingt notwendig, diesen gespielt zu haben. Yagami agiert jetzt offener und mutiger und gibt uns einen genaueren Einblick in seine verschiedenen Charaktereigenschaften. Das gleiche gilt für fast alle neuen Charaktere und alten Bekannten. Die Autoren konzentrieren sich zwar auf den Helden, lassen aber auch alle anderen immer wieder zu Wort kommen und geben uns so die Möglichkeit, Situationen aus einer breiteren Perspektive zu betrachten. Auf diese Weise ähnelt das Geschehen einer Schachpartie, bei der jede Figur ihren Platz, ihre Fähigkeit und ihren Einfluss auf das Geschehen hat. Die Motivationen der Charaktere werden im Laufe der Ermittlungen aufgedeckt, sodass man in jedem Handlungsbogen Antworten auf alle Fragen bekommt. Bemerkenswerterweise haben auch die Antagonisten ihren Scharm, denn es gibt keine eindeutige Einteilung in Gut und Böse.


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Während der erste Teil aufgrund der häufigen Begegnungen mit den Gangs eher an die Yakuza Spiele erinnerte, verlagert sich in der Fortsetzung der Schwerpunkt auf die Zivilisten und ihre Probleme in der Gesellschaft. Aber natürlich treffen wir auch hier wieder auf Gangster, Polizisten, Anwälte und sogar Politiker. Hier werden jedoch primär die dunklen Seiten der menschlichen Persönlichkeit aufgedeckt. So bringen die meisten Figuren Dinge ans Licht, die die Menschen lieber schamhaft übersehen. Obwohl das Rechtssystem fehlerhaft zu sein scheint glaubt Yagami stets daran, dass die Stärke in der Wahrheit liegt, so bitter sie auch sein mag. Da er immer noch als Anwalt tätig ist, wird das Ende der Geschichte natürlich vor Gericht entschieden, wo sich die Situation bis zum Äussersten zuspitzt.


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Lost Judgment ist nicht immer düster und brutal. Der besondere Humor der Ryu ga Gotoku Studios ist logischerweise mit dabei. So wird bei einem formellen Treffen gerne mal über den feinen Geschmack von Peking-Ente diskutiert oder wir wühlen in der schmutzigen Wäsche eines betrunkenen Kollegen, verabreden uns mit heissen Mädels, jagen Höschen-Fetischisten, tanzen, spielen klassische Arcade- und Konsolen-Games oder schmücken unser Zuhause mit knuddeligen Action-Figuren aus dem Ufo-Catcher Automat. Nebenquests gibt es wieder zu Hauf, wobei jede eine eigene kleine Geschichte erzählt. Wir suchen nach einer vergrabenen Zeitkapsel, treffen auf eine Jugendliebe oder landen sogar auf einem Filmset. Für viel Abwechslung ist mehr als gesorgt.


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Die Handlung findet diesmal in zwei Städten gleichzeitig statt. Neben unserem Heimatbezirk Kamurocho verbringen wir viel Zeit in Yokohama, und zwar dem Ort, aus dem Ichiban und seine Freunde aus Yakuza: Like a Dragon stammen. Die vielleicht begrüssenswerteste Änderung ist die drastische Reduzierung der nervigen Verfolgermissionen und auch der Vorgang selbst ist jetzt weniger lästig. Meist müssen wir die Zielperson nur kurz beschatten, um dann im richtigen Moment ein Foto zu schiessen. Stealth-Mechaniken sind auch mit dabei. Wir verstecken uns hinter Ecken, werfen zur Ablenkung Münzen oder verwirren Störenfriede mit Rauchbomben. Während der Ermittlungen treffen wir auf viele verschlossene Türen, die mit Mini-Spielen oder Zahlencodes geknackt werden. Neu ist Parkour bzw. die Klettereinlagen, die auf einem sehr zugänglichen Niveau eingeführt werden. Und natürlich sind auch die Gadgets nicht verschwunden. Freund und Computergenie Makoto hält allerlei technischen Schnickschnack wie Flugdrohnen, Signaldetektoren, Elektromagnete, Spy-Kameras oder Schallverstärker bereit, die unser investigatives Leben einfacher gestalten. Mit einer solchen Vielfalt an Mechaniken wird es eigentlich nie langweilig und ich war echt überrascht, was die die Entwickler alles reingepackt haben.


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Die grösste Neuerung ist jedoch die angesehene Seiryo-Schule. Eigentlich handelt es sich hier um einen ganz neuen Stadtteil. Die riesige Bildungseinrichtung beherbergt mehrere Hobbyclubs, denen Yagami als Mentor beitreten kann. Und jeder von ihnen - sei es der Robotik-Club, der Box-Club, der Tanz-Club und andere - bietet eine ganze Kette von eigenen Quests mit frischen Charakteren, Geschichten und Gameplay. Das alles ist in einem separaten Teil der Benutzeroberfläche untergebracht, wo man bequem den Fortschritt verfolgen kann. Alle Aktivitäten beinhalten individuelle Herausforderungen und Belohnungen. Durch das erfolgreiche Überwinden der Etappen verbessern wir unsere Fähigkeiten und steigern gleichzeitig das Selbstvertrauen der Schüler/innen, was in gewisser Weise dem System der sozialen Beziehungen in der Persona-Serie ähnelt.


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Klar ist, dass man sich in Lost Judgment wieder viel bewegen muss. Damit die langen Wege nicht zur Tortur werden, rufen wir einerseits ein Taxi über unser Smartphone oder schwingen uns aufs Skateboard. Das Essen in Restaurants bringt ebenfalls Boni mit sich - von erhöhter Erfahrung und schnellerem Auffüllen der Spezialfähigkeiten, bis hin zu verbesserter Wahrnehmung. Neuerdings gibt's sogar einen Easy-Mode für diejenigen, die sich nicht um Kämpfe oder verschiedene andere, komplexere Mechaniken kümmern wollen. Ein optionaler Eingabeassistent übernimmt dann unliebsame Aufgaben und kompliziertere Steuerungsmaneuver.


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Das bringt mich zum Kampfsystem, einem der grossen Eckpfeiler der Serie und das ist umfangreicher, als in so manchem Fighting-Game. Combos, Special-Moves und die Interaktion mit der Umgebung gehören dabei noch zum Standard. Die Liste der Moves und Möglichkeiten im Kampf scheinen endlos. Zu den zwei bestehenden Kampfstilen gesellt sich nun ein Dritter. Der neue "Schlangen-Stil" ist besonders für Kämpfe gegen mehrere Gegner gedacht und extrem stylisch inszeniert. Je mehr Fights wir bestreiten, desto mehr Erfahrungspunkte dürfen wir zur Freischaltung neuer Angriffe ausgeben.


Bei Lost Judgment haben wir die Wahl zwischen japanischer und englischer Sprachausgabe und jeder Menge Untertitel. Persönlich bin ich der Meinung, dass Japanisch am besten klingt. Aber auch Englisch ist voll ok und sogar die Lippenbewegungen ändern sich je nach gewählter Sprache. Optisch ist das Spiel ohnehin eine Wucht. Gerade die von mir getestete Version für Xbox Series X glänzt im Qualitäts-Modus mit gestochen scharfen Texturen, tollen Reflektionen, fotorealistischen Gesichtern und Umgebungen und beeindruckend voluminösen Lichteffekten. Hinter jedem Fenster der Stadt scheint etwas zu passieren. Gläser beschlagen, Fussabdrücke auf nassem Böden, Kratzer an Möbeln und Risse in den Tapeten sind deutlich sichtbar.


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Auch bei der Kleidung gibt es hervorragende Details - die Nähte eines Pullovers, enge Jeans, Leder und viele andere Oberflächen lassen sich genau erkennen. Gesichtsporen, Falten, Haare, Stoppeln und andere Details werden akribisch dargestellt. In Innenräumen abgelagerte Staubpartikel, Schweissperlen und Regen sind ebenfalls beeindruckend in Szene gesetzt. Yagami und alle anderen Charaktere werden in den Kämpfen mit Schnitten, blauen Flecken und Blutergüssen übersät. Natürlich gibt's während der Schlägereien atemberaubenden Animationen zu sehen. Unser flinker Schnüffler malträtiert seine Gegner mit beeindruckenden Pirouetten und spektakulären Stunts, so dass man sich öfters fragt, warum die Macher daraus nicht gleich ein Kampfspiel gemacht haben.


Lost Judgment bietet die Wahl zwischen zwei Grafik-Modi. Der Qualitätsmodus konzentriert sich auf 4k-Auflösung und bessere Spezialeffekte bei 30fps. Der Stabilitätsmodus hingegen bietet stets flüssige 60fps bei etwas geringerer Auflösung, wo es auch mal flimmert oder sich Treppchen bilden. Und obwohl ich eine flüssige Bildrate eigentlich stets bevorzuge, spiele ich Lost Judgment viel lieber im Quality-Mode, weil es einfach dermassen gut aussieht.



Fazit:

Ich muss beschämt gestehen, dass ich bisher weder den Vorgänger, noch irgendein anderes Yakuza-Spiel länger als 60 Minuten ausgehalten habe. Lost Judgment hat mich hingegen von der ersten Minute an abgeholt und das obwohl der Einstieg sehr, SEHR langatmig war. Bis das Spiel Fahrt aufnimmt, vergehen gut und gerne 3-4 Stunden, in denen man fast nur Filmchen schaut, sich mit den Charakteren und den Örtlichkeiten vertraut macht oder Dokumente liest. Wer die harzige Einstiegshürde überwunden hat kriegt dann aber einen modernen, spannungsgeladenen Detektivkrimi serviert, der sich mit keinem anderen Spiel vergleichen lässt. Lost Judgment übernimmt das Beste aus der Yakuza-Reihe und seinem eigenen Vorgänger und schafft es trotz vieler Neuerungen und Verbesserung, sein eigenes Gesicht nicht zu verlieren. Es ist ein extrem umfangreiches und unverwechselbares Erlebnis, das in meinen Augen eine völlig neue Qualitätsstufe erreicht hat. Eine einzigartige Spielerfahrung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.



Wir haben Lost Judgment auf einer Xbox Series X getestet. Es ist aber auch für PS4, PS5, Xbox One und PC erhältlich. Das Testmuster stammt direkt von SEGA. Vielen Dank dafür!



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