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AutorenbildRico Plüss

The(G)net Review: Gungnir

Anhänger von rundenbasierten Rollenspielen müssen in letzter Zeit eine wichtige Eigenschaft vermehrt mitbringen: Leidensbereitschaft. Der Rollenspiel-Markt besteht fast nur noch aus Echtzeit- oder Actionrollenspielen und für diejenigen unter uns, die gerne Zug um Zug und eventuell gar aus Schachbrettsicht lostaktieren, ist nur wenig geplant. Ein Ableger der Fire Emblem-Serie für den 3DS wurde immerhin endlich bestätigt (zwar bisher nur für Amerika), aber neben Pokémon ist im Line-Up der Heim- und Taschenkonsolen sonst nicht mehr viel rundenbasiertes dabei für den geneigten Spieler. Hier kommt Gungnir ins Spiel...


Gungnir Test, Review, Testbericht für PlayStation Portable PSP.

Argh, ich weiss es jetzt schon: Ich werde mich noch tausendmal vertippen. Gungir, Gnugir, Gnugnir, ajksdökljsdf! Es spricht sich nicht ganz so mühsam aus wie man es schreiben muss, aber auch so fällt einem der Name des neuesten Werks aus dem Hause Sting schwer von den Lippen. Jenes Produktionsstudio hat für Atlus schon Perlen wie das hier rezensierte Knights In The Knightmare und Riviera herausgebracht, die Vorfreude durfte man also berechtigerweise hoch halten.

Vor wenigen Wochen nun flatterte das Textexemplar endlich in den Redaktionsbriefkasten und als eingeschworener Handheld-Rollenspieler (fast ausschliesslich rundenbasierte und strategische RPGs) habe ich mir natürlich das wunderschön anmutende Spiel unter den Nagel gerissen. Der Ehrlichkeit halber sei hier aber auch erwähnt, dass die Begeisterung für diese Nische mit immer weniger Leuten geteilt werden kann, der Stern meines Lieblingsgenres scheint wirklich am sinken zu sein. Ob das berechtigt ist? Wenn man mich fragt natürlich nicht. Schauen wir also, ob Sting dem Genre etwas Lebensatem einhauchen kann oder ob sie den Sargnagel noch etwas tiefer einschlagen werden.


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Als erstes fallen die putzigen Charaktere auf, die im Chibi-Look daherkommen und einen seltsamen Träger für die sehr düstere, brutale Geschichte abgeben. Denn es kommt knüppeldick für den Protagonisten Giulio. In den Fusstapfen seines Vaters wandelnd (welcher als Revolutionär früh für seine Sache eintretend starb), darf sich der junge Held im Einführungskapitel schon mal von seinen engsten Freunden verabschieden, welche auf nicht sonderlich beneidenswerte Art das Zeitliche segnet. Man stelt also schnell fest, dass der vorhin erwähnte kindliche Look täuscht und, wenn schon, eher für Verwirrung sorgt. Denn was die niedlichen Kerlchen von sich geben, hat sich gewaschen. Hauptheld Giulio hat bereits als Kind die ersten Soldaten auf dem Gewissen gehabt und mit 15 Jahren hat er schon so viele Menschen umgebracht, dass er bei 100 zu zählen aufhörte. Dass er so rücksichtlos vorgeht, hat seinen Grund: Zu einer Minderheit, der Espada gehörend, findet er sich mit seinen Leidens- und Kampfgenossen in einer Art Slum wieder, wohin sie von der tyrannischen Regierung vertrieben worden sind. Rachsüchtige Brüder, geheimnisvolle Mädchen und intrigante Bösewichte spielen in dieser Story rund um Rassentrennung, Verrat, Macht und Gerechtigkeit eine Rolle - doch zuviel soll nicht verraten werden. Gewicht auf das erzählende Element wird viel gelegt, man befindet sich in Gungnir nämlich entweder in einer “Erzählszene” oder im Kampf. Dazwischen gibt es, bis auf die Kampfvorbereitungs- und Speicherzeit nämlich nichts.


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Stichwort Kampf: Dieser findet in der uns von Final Fantasy Tactics oder Tactics Ogre her bestens vertrauten isometrischen Ansicht statt. Quasi als Schachspieler dirigieren und ziehen wir unsere Figuren auf dem in Felder unterteilen Gebiet herum und sorgen so dafür, dass die Schurken mächtig eins auf die Rübe bekommen. Dies wird aber in ordentlich spezieller Manier gemacht. Denn wie schon ‘Knights In The Nightmare’ hat es sich Gungnir offenbar zum Anspruch gemacht, möglichst einsteigerunfreundlich zu sein und stiftet zu Beginn der ersten paar Gefechte allem eines: Verwirrung. Es benötigt einige Zeit, sich in das überhaupt nicht lineare, ziemlich komplexe System hereinzufinden, das einen Charaktere nicht der Reihe nach kämpfen (aber irgendwie doch), Kombos nicht wie gewöhnlich bauen (aber irgendwie doch) und Gegner nicht ganz normal ins Jenseits schicken lässt (aber irgendwie doch). Denn Gungnir, so ähnlich es vielleicht wie ein FF: Tactics oder TO daherkommt, spielt sich doch ziemlich anders.


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Der Faktor Zeit, welcher über den Spielfluss entscheidet, spielt eine grössere Rolle als in den beiden vorhergenannten SRPG-Reihen. Denn wenn die eigene Fraktion am Zug ist, kann man selbst entscheiden, mit welcher Figur man ziehen will. Im Prinzip könnte man beispielsweise Giulio zweimal hintereinander agieren lassen. Das System vergibt für solches Gebaren aber “Penalty”, hier beispielsweise in Form von HP-Abzug. Doch das Entscheidende daran ist: Man könnte. Durch diese Nicht-Linearität wird eine riesige Zugvielfalt ins Gameplay gebracht. So kann man beispielsweise eine Karte mit 8 Gegnern problemlos mit maximal 2-3 Charakteren schaffen, wenn die Züge richtig koordiniert werden. Dass dies auf lange Sicht nicht gut geht, findet man jedoch schnell auf die harte Tour heraus: Maps und Gegner sind im späteren Spielverlauf so konstruiert, dass man ohne ein Mindestmass an Diversifizierung keinen Blumentopf mehr gewinnt. Das Gameplay ist noch wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick scheint: Durch Variation des Zeitflusses und mit geschicktem Einsatz der Taktikleiste lässt sich dem Spiel einen ganz eigenen Stempel aufdrücken, so dass unzählige Wege nach Rom, beziehungsweise zum Sieg führen.


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Aus optischer Sicht gibt es vermischtes zu melden. Einerseits ist da die wunderschöne Präsentation, welche üppig, detailreich und schön daherkommt. Anderseits sind da gestalterisch einige Schnitzer drin, allen voran im Bereich der Übersicht: Man hat des öfteren nur einen sehr bescheidenen Überblick, da trotz drehbarer Kamera und Zoom häufig Gebäude und Brücken die Sicht versperren. Der Zoom schafft hier nur begrenzt Abhilfe: Er zoomt so weit raus, dass man praktisch nichts mehr erkennt - schade. Fragwürdig ist der Chibi-Look der Figuren. Mir persönlich war es zu viel des Guten und es hat mir viel der Dramatik und “Immersion” geraubt. Anderen gefällt dieser Stil womöglich, weswegen ich da nicht zuviel Abzüge geben möchte.


Klanglich hingegen ist das Spiel eine Freude: Orchestrale, epische Klänge wechseln sich mit melancholischen bis traurigen Stücken ab, die das Setting und die Geschehnisse stets passend untermalen. Hier kann Sting massiv Punkte einheimsen.



Fazit:

Yay, mal wieder ein SRPG - und kein schlechtes! Als SRPG-Enthusiast ist man über jeden Happen Rundenbasiertheit dankbar. Gungnir bietet viel Grund zur Freude: Dank dem einzigartigen System und den vielfältigen Möglichkeiten zum Sieg ist das Spiel nicht einfach ein Aufguss von Final Fantasy Tactics und Konsorten, sondern bietet genügend Anreize, um sich als eigenständiges Spiel seinen Platz im Regal zu verdienen. Die rosarote Brille kann trotzdem nicht angezogen werden: Tendenziell überladene Menüs und die zu Beginn vorhandene Unzugänglichkeit schrecken Hardcore-Rollenspieler zwar nicht ab, eine etwas flachere Lernkurve und etwas mehr Feinschliff in den Menüs (der Shop beispielsweise ist eine Katastrophe) hätte das Spiel nämlich nicht vereinfacht im Sinne des Anspruches, sondern der Bedienbarkeit. Alles in allem aber ist Gungnir ein kleines, feines Juwel, das zwar nur einer seh limitierten Zielgruppe anspricht, dort aber mit Genugtuung und Anerkennung aufgenommen werden wird.


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