In der Vorbereitung für dieses Review bin ich die Geschichte der Forza-Rennspiele durchgegangen und wieder einmal hat mich der Zug der Zeit niedergeknüppelt. Der erste Teil erschien 2005 und der Release des siebten Ablegers liegt sechs Jahre zurück. Entwickler Turn 10 hat sich dieses Mal ordentlich Zeit gelassen und auch wir durften jetzt schon viele Stunden mit dem neuesten Teil, nur noch Forza Motorsport genannt, verbringen. Während der Sim-Racer an sich vollends überzeugt, finde ich noch immer kaum Worte für das fragwürdige Upgrade- und Fortschrittssystem.
Gehen wir aber etwas geordneter an die Sache. Serientypisch ist Forza Motorsport eine Racing-Simulation durch und durch. Zum Release gibt es 20 Strecken, fünf davon zum ersten Mal in der Serie, in jeweils mehreren Varianten und mit weiteren Tracks wie der kompletten Nordschleife bereits angekündigt. Gefahren wird mit mehr als 500 Autos von über 80 mehr oder weniger bekannten Herstellern. Auf dem Asphalt angekommen zeigt sich, dass das Fahrverhalten erstklassig ist. Ob in einer lahmen Kröte oder einem hochmodernen Supercar, es fühlt sich authentisch und irgendwie richtig an. Und obwohl Forza Motorsport eine Hardcore-Sim für eben dieses Publikum ist, sollten sich auch Neulinge oder überzeugte Arcade-Racer nicht davon abschrecken lassen. Viele der herausfordernden Aspekte wie Benzin- und Reifenmanagement oder das fast schon exzessive Schadensmodell lassen sich stark herunterschrauben oder gleich ganz deaktivieren. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich ebenfalls gut variieren, was jedoch nicht bedeutet, dass man locker-flockig mit Vollgas und Handbremse los brettern kann. Selbst mit handelsüblichen Fahrhilfen, Ideallinie und einer Rückspulfunktion ist eine ruhige Hand, Fingerspitzengefühl und viel Geduld gefragt. Dafür wird man mit einem Renngefühl der Extra-Klasse belohnt.
An dieser Stelle muss ich auch die Bemühungen des amerikanischen Studios im Bereich von Accessibility erwähnen und loben. Forza Motorsport soll für blinde und Low Vision Spieler nämlich komplett spielbar sein. Dazu gehört in einem ersten Schritt die durchgängige Narration aller Texte, welche für Spiele in diesem Segment schon lange Industriestandard sein sollte. Turn 10 ist aber noch viele Extraschritte weiter gegangen. Dank vielen Reglern in den Optionen können Fahrzeug- und Umgebungsgeräusche heruntergedreht und dafür Audiomeldungen aktiviert werden. Wie in der Rallye werden Kurven, ihre Richtung und Stärke von einem Sprecher angesagt. Ausserdem gibt es Töne die einem zeigen, wie nah man an der Streckenumrandung ist. Durch diese Hilfen lassen sich Strecken und Fahrzeuge zum Teil oder sogar vollständig per Sound darstellen, was eine einzigartige Erfahrung ist. Ich selber habe keine Sehprobleme und würde mir nicht erlauben, ein Urteil im Namen jener Community zu fällen. Die Strecken sind mir visuell bekannt und ich weiss wie das Spiel aussieht. Trotzdem war es für mich ein sehr eindrückliches Erlebnis, mit dem Rücken zum Fernseher zu sitzen, Rennen zu fahren und nach nur wenigen Versuchen auf diese Weise aufs Podium zu kommen. Auf mich wirkt es fantastisch und hoffentlich bietet es Menschen mit diesen Behinderungen die Möglichkeit, dieses Hobby geniessen zu können.
Die Karriere lässt dafür leider zu wünschen übrig. Sie besteht eigentlich nur aus Serien mit einer Handvoll Rennen, die einem bestimmten Thema folgen. Zum Start einer Serie gibts ein kurzes Video, welches das entsprechende Thema ein wenig erläutert und im Anschluss wird gefahren. An und für sich reicht das auch für eine ernste Simulation und ich habe mich auch nie gelangweilt, wenn ich über die Tracks gebrettert bin. Vor jedem Rennen kann an der Fahrzeugabstimmung bis ins kleinste Detail herumgeschraubt werden. Hobby-Tuner können sich stundenlang mit der Feinabstimmung von jedem Auto, auf allen Strecken und unter allen Bedingungen vergnügen.
Problematisch sind die vielen hundert verschiedenen Performance-Upgrades. Jeder Bolide muss nämlich zuerst aufgelevelt werden, um neue und bessere Upgrades anwenden zu können. Je schneller und sauberer man Streckenabschnitte abschliesst, desto mehr Erfahrungspunkte gibt es. Deshalb ist es auch immer wichtig, vor dem eigentlichen Rennen ein paar Übungsrunden zu drehen, denn dort gibt es fast mehr Erfahrung zu verdienen als in den Rennen selbst. Macht man das nicht und überspringt jeden Practice-Run, dann werden im Verlauf einer Serie die Autos der Konkurrenz irgendwann deutlich schneller sein als das eigene, was sich merkwürdig anfühlt. Jedes Fahrzeugteil kostet zudem "CP" und nur wer fleissig im Level aufsteigt, verdient genug Punkte um eine Karre ordentlich aufzumotzen.
Immerhin gibt es in jedem Modus XP zu verdienen, egal ob alleine, in der Karriere oder im Fahren gegen die Zeit, mit Freunden oder im kompetitiven Mehrspielermodus. Bei meinen Schwierigkeitseinstellungen konnte ich in einer vollständigen Serie in der Karriere einen Wagen von Level 1 auf etwa Level 30 bringen, der Zeitaufwand hält sich für ein einzelnes Auto also in Grenzen. Wer jedoch verschiedene Autos ausprobieren und nur ein paar Runden drehen will, wird enttäuscht und muss auf die meisten wirklich massgebenden Upgrades verzichten, bis genug gegrindet wurde. Ich bin mir sicher, dass die Community in kürzester Zeit Methoden finden wird, um möglichst schnell und ohne zu viel Aufwand viele Erfahrungspunkte zu sammeln, aber nach Spielspass hört sich das nicht an. Es fühlt sich nach Arbeit an und das ist enttäuschend.
Immerhin kosten die Upgrades keine Credits, wodurch sie nur für den Autokauf gebraucht werden. Zum jetzigen Zeitpunkt über die Ingame-Wirtschaft zu urteilen ist schwierig, dennoch kann ich meine Erfahrungen teilen. Nach etwa 25 Stunden in der Karriere und knapp 5 Stunden in der freien Fahrt und dem Mehrspielermodus habe ich Fahrerlevel 35 erreicht. In meiner Garage stehen 15 Autos, von spottbillig bis sehr teuer, und auf meinem virtuellen Konto liegen etwas mehr als eine Million Credits. Aktuell kostet der teuerste Schlitten 450’000 Credits. Wer ausschliesslich mit möglichst vielen High-End-Karren unterwegs sein und diese aufleveln will, muss sehr viel Zeit investieren.
Für mich liegt der Reiz aber nicht nur in diesen Fahrzeugen, sondern auch in billigeren Varianten, aber das empfindet jeder anders. Alle Autos und die zusätzlichen 500’000 Credits, die wir mit unserer zur Verfügung gestellten Premium-Edition erhalten haben, habe ich bei der oberen Aufzählung nicht berücksichtigt. Zwangsläufig eingerechnet ist der doppelte Credit-Boost, den ich über die VIP-Mitgliedschaft, die Teil der Premium Edition ist, erhalten habe. Wie gewohnt fühlen sich diese Echtgeld-Vorteile furchtbar mies an und vom Gefühl her wird der Credit-Verdienst für Gamepass-Zocker und Käufer der normalen Edition wohl ziemlich mau ausfallen. Ausser den Special Editions des Spiels, welche Autopacks und die erwähnte VIP-Mitgliedschaft enthalten, gibt es aktuell noch keine Mikrotransaktionen auf dem digitalen Marktplatz. Noch nicht…
Visuell und audiotechnisch gehört Forza Motorsport hingegen auf jeden Fall zur Spitzenklasse. Bei den Fahrten auf der Xbox Series X sind besonders die wunderschön umgesetzten Cockpit-Ansichten aller Autos und die flüssige Bildrate besonders positiv aufgefallen. Die Strecken, ihre Details, der Tag- und Nachtwechsel und das Wetter sorgen für eine wunderschöne Optik. Leider kam es in unserer Version des Spiels noch zu einigen Freezes und Abstürzen, welche den Spielspass doch ein wenig gemindert haben. Ausserdem musste ich einmal das Spiel neu starten, als ich ein Auto gekauft habe. Ob es am Spiel, meiner Internetverbindung oder der Verbindung zum Server lag, kann ich nicht genau sagen, aber der Kauf ging nicht durch und auf dem Bildschirm gab es nur ein ewiges Ladesymbol zu sehen. Immerhin verlor ich die Credits nicht und es war nur ein Verlust der Zeit.
Fazit:
Als reine Renn-Simulation wäre Forza Motorsport für mich eine klare 10. Es sieht fantastisch aus, klingt gut und fährt sich wunderbar. Das Feeling, über die Strecken zu brettern, untermalt vom donnernden Sound der Motoren und wechselnden Wetterbedingungen, gehört zum Besten überhaupt. Leider sind die Aspekte der Performance-Upgrades, für welche man jedes einzelne Auto hochleveln muss sowie die Ingame-Economy sehr enttäuschend. Forza Motorsport ist dadurch kein Spiel für zwischendurch, so einsteigerfreundlich es als Simulation auch sein mag. Wer jedoch sowieso viel Zeit investieren will oder sich nicht daran stört, auch mal mit Gurken über die Pisten zu tuckern (oder hart verdientes, echtes Geld in Special Editions oder Premium-Upgrades zu stecken) bekommt mit Forza Motorsport abermals ein phänomenales Rennspiel, in dem sehr viel Arbeit und Liebe steckt.
Forza Motorsport ist für PC und Xbox Series sowie über Game Pass und Xbox Cloud Gaming erhältlich. Wir haben uns das Spiel auf einer Xbox Series X angesehen. Das frühe Test-Muster stammt von Microsoft, wofür wir uns herzlich bedanken!
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