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AutorenbildRico Plüss

The(G)net Review: Fire Emblem: Awakening

Wer mich ein bisschen kennt und eventuell sogar das eine oder andere Review gelesen hat, der weiss, dass ich gerne rundenbasierte Rollenspiele habe. Nun hat Intelligent Systems zum ersten Mal für den 3DS ein Fire Emblem herausgegeben und bis vor kurzem war die Frage offen, ob strategische Rollenspiele überhaupt noch eine Zukunft haben. Mittlerweile kann sie beantwortet werden...


Zahlen sind ja manchmal so eine Sache. Sie helfen uns, komplizierte Sachverhalte zu verkürzen und sie somit schneller und einfacher zu verstehen. Doch gerade das Reduzieren auf Zahlen birgt so einige Gefahren. Sieht man sich beispielsweise die Ratings aller (G)Net-Reviews an, so stellt man fest, dass die meisten Games eine eher hohe Wertung erhalten. Dies kann man mitunter auf 2 Umstände zurückführen: Als erstes die wichtige Tatsache, dass die Schreiber der Testberichte in den allermeisten Fällen auswählen, über welches Spiel sie schreiben wollen. Es braucht nicht sonderlich viel Grips um nachzuvollziehen, dass somit auch eher Games getestet werden, die vom Schreiber auch gespielt werden wollen und auf die er sich auch freut. Somit wäre schon die erste Hälfte der hohen Punktezahlen ansatzweise erklärt. Als zweiter Faktor kommt dazu, dass sich über all die Jahre in vielen Medienbewertungsstellen die Noten „nach oben“ verschoben haben. Nimmt man 10 als Massstab und 1 als niedrigste Note, so würde eine 5.5 ein per Definition durchschnittliches, also bei weitem nicht schlechtes Spiel ergeben. Doch man stellt fest, dass ein Spiel mit der Note 5.5/10 bei der blossen Ansicht des Ratings als subjektiv „schlecht“ empfunden wird – dies hat auch mit der Verschiebung nach oben zu tun. Es ergeben sich aus dieser Entwicklung diverse Probleme, und eines davon ist die Glaubwürdigkeit, gerade bezüglich der Vergleichbarkeit der Zahlen.


Fire Emblem: Awakening Test, Review, Testbericht für Nintendo 3DS

Wozu dieses Ausholen, wenn es doch darum geht, hier über Fire Emblem: Awakening zu schreiben? Ganz konkret: Ich bewerte Fire Emblem mit 95% und halte es für eines der besten Handheld-Spiele in den vergangenen Jahren, wenn nicht aller Zeiten (und werde natürlich auch noch erklären warum). Doch hier gibt es ein Problem der Vergleichbarkeit: Wenn ich in meinen Reviews dieser Verschiebung nach oben versuche entgegenzuwirken und bewusst den ‚fav bias‘ auszuklammern versuche um ein möglichst glaubwürdiges, differenziertes Review zu schreibe und der einzige bin der das macht, dann wirkt meine 95% neben all den hohen Noten niemals derart glaubwürdig. Nachfolgend soll jedoch das Unmögliche versucht werden: Eine nüchterne Liebeserklärung.


Wenn es eine Spielfranchise gibt, die für immer einen Platz in meinem Herzen hat, dann ist das die „Fire Emblem“-Reihe. Jedes in Europa erschienen Spiel ist physisch in meinem Besitz und für Awakening habe ich mir extra einen US 3DS XL gekauft, um es früher spielen zu können. Andere, nicht im Westen erschienene (Beispielsweise „Sword of Seals“ oder „Heroes Of Light And Shadow“) wurden von Fans übersetzt und können mit Emulatoren gespielt werden – wovon ich natürlich ausgiebig Gebrauch gemacht habe. Nun ist also das erste Fire Emblem für den 3DS erschienen und die Vorfreude hätte nicht grösser und die Erwartungen nicht höher sein können. Zuletzt war ich wohl bei „Tactics Ogre: Let Us Cling Together“ derart aufgeregt. Doch zuerst musste noch der 3DS XL in US-Ausführung via Alcom importiert und eine Prepaid-Card auf play-asia.com gekauft werden um das Spiel herunterladen zu können. In physischer Form ist FE:A zurzeit in weiten Teilen Amerikas ausverkauft, da Nintendo offenbar Lieferschwierigkeiten hat.


Fire Emblem: Awakening Test, Review, Testbericht für Nintendo 3DS

Wie schreibt man ein Review um Kennern der Serie einen Überblick über Änderungen zu geben und Neulingen das Konzept der taktischen, rundenbasierten Gefechte nahezubringen? Man fängt wohl bei zwei Änderungen an, die bisher die Serie dominiert haben: Erstens ist da die Tatsache des Perma-Deaths. Wer mit schwitzenden Händen und aufgerissenen Augen dem gegnerischen Zug zuschaut und betet, dass die 25% Trefferquote den mit viel Mühe heraufgezogenen Bogenschützen nicht ins Grab schickt, der kennt schon eine der Kernqualitäten der Serie: In einem simplen Gefecht in Fire Emblem gibt es dutzende bis hunderte „relevante“ Situationen durch den Permadeath, denn dadurch wird jede Entscheidung (ge)wichtiger. Eine falsche Platzierung und ein ganzer Level muss neugestartet werden. Herausforderung für die einen, Frustration für die anderen. Und genau hier tut sich eine Änderung stark hervor: In FE:A gibt es neben den Schwierigkeitsstufen auch die Möglichkeit, den permanenten Charaktertod auszuschalten, was einen viel drastischeren Einfluss auf das Gameplay nimmt als man das annehmen könnte. Hier ist zum ersten Mal das „streamlining“ festzustellen, das Intelligent Systems mit ihrem neuesten Werk vollzogen haben. Denn sonderlich zugänglich war die Serie bis anhin nie, was eben nicht zuletzt mit dem Permadeath zu tun hat.


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Weiter geht’s mit der Möglichkeit, seinen eigenen Charakter zusammenstellen zu können – inklusive Wahl des Geschlechts. Als „TaktikerIn“ steht man Chrom zur Seite, einem Prinzen, der sein Königreich durch die Wirren von Kriegen an diversen Fronten führen muss und dabei langsam aber sicher eine Verschwörung aufdeckt, die es in sich hat. Die Wahl des Geschlecht nun hat wesentlichen Einfluss auf das Supportsystem, denn in FE:A ist es möglich, Teammitglieder zu heiraten. HAST DU GERADE HEIRATEN GESAGT? Ich konnte es zuerst auch kaum glauben, doch nebst zahlreichen anderen Neuerungen, etwa dass das Support-System um eine Pairing-Funktion erweitert wurde, gibt es nun tatsächlich die Möglichkeit, MitstreiterInnen zum Mann oder Frau zu nehmen – grossartig! Eine der über 10 Ableger der Serie hatte sowas ähnliches auch schon, schaffte es aber nie in den Westen. Ebenfalls ins Spiel gefunden hat die Option, die am Gefecht teilnehmenden Figuren automatisch mit Ausrüstung ausstatten zu lassen – was für Gegner von ultrapeniblem Micromanagement natürlich eine willkommene Neuerung ist. Als einer, der gerne mal eine halbe Stunde damit verbringt, jedem Charakter die richtigen Waffen auf den Leib zu schneidern/legen, schaut man natürlich sofort, wie gut das Feature auch funktioniert. Die Antwort: Ziemlich gut. In der Regel mache ich nach kurzer Überprüfung noch eine, zwei Änderungen, doch ansonsten spart das tatsächlich viel Zeit. Unsicher ist jedoch, ob es wirklich schlau war, einen übergreifenden Item-Roster zu implementieren – es ist wohl ein Kompromiss zwischen Übersicht und Effizienz.


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Die beim Vorbereiten gesparte Zeit kann dann mit umso mehr gedanklichem Tiefgang in die Gefechte investiert werden, denn die haben es in sich. Und hier fallen dem FE-Veteranen erneut einige Veränderungen auf. Nebst zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten in den Optionen was die Darstellung und den Flow der Duelle angeht, fallen einem 2 Neuerungen auf. Erstens: Die „Constitution“ wurde gänzlich abgeschafft. Dies hängt direkt mit dem zweiten Novum zusammen, dem Pairing. War es früher möglich, dass Einheiten mit hoher Konstitution leichtere Mitstreiter „aufnahmen“ und somit diverse Penaltys auf ihre Attribute erhielten, wurde dieses vielfach unterschätzte Gameplay-Element (eine fragile Einheit zu tragen entsprach oft einer Rettung in letzter Sekunde) durch etwas Ähnliches und doch in der Handhabung dann grundverschiedenes ersetzt. Neu ist es möglich, zwei Einheiten auf einem Feld zusammenzuführen, was sich in diversen Boni der Attribute und tollerweise in keiner Reduktion der Bewegungsfreiheit äussert. Ein junger, zerbrechlicher Rekrut kann so von einem stattlichen Paladin unterstützt werden.


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Das ganze System ist dann, wie das auch sein soll, einigermassen komplex – zumindest wenn man es voll ausreizen will. Zum Beispiel: Einheiten mit niedriger Reichweite wie ein General können auf einen schnellen Pegasusritter aufsteigen und verlieren damit ihren Zug. Doch der Reiter mit dem geflügelten Pferd kann nun in seinem Zug über eine für den General unüberwindliche Stelle fliegen, dort zum General switchen und dieser führt dann stattdessen den Angriff aus – ist aber dann auch dementsprechend exponiert, was oftmals auch Sinn macht, kann man so nämlich die Einheit vor den für die Pegasi tödlichen Pfeilen schützen. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den unzähligen Möglichkeiten, die das Pairing-System bietet. Meinen Hauptcharakter, der zwar eher auf Schwertkampf statt Magie fokussiert, booste ich mit meiner Frau in allen für die Magie wichtigen Attributen, so dass ich einen ausgeglichenen, praktisch schwächelosen Kämpfer habe. Das Pairing-Prinzip gilt aber auch für benachbarte Einheiten und so kann man die Boni nutzen, ohne dass man eine agierende Einheit weniger auf dem Feld hat.


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Was hat FE:A für Schwächen? Erfreulicherweise fast keine. Der Einbau von DLC direkt ins Spiel ist ungewohnt und stellenweise ein bisschen schade, denn es hat einen starken Einfluss auf den Schwierigkeitsgrad. So war es bisher nur sehr begrenzt möglich, „grinden“ zu können. Durch die limitierte Möglichkeit das Team aufzuleveln, musste man seine Kämpfer in den vergangenen Versionen gezielt einsetzen und am Schluss des Spiels hatte man aufgrund der ebenfalls sehr begrenzten Geld- und Itemressourcen nur eine Handvoll komplett beförderter Einheiten. Dies ist bei FE:A komplett anders: Kurz nach der Hälfte hatte ich die meisten aktiv benutzten Einheiten schon komplett befördert und ein Team zusammen, das in seiner Kampfstärke die meisten meiner Endgame-Truppen der vergangenen Spiele locker übertrumpft. In der kritischen Welt der Fire Emblem-Veteranen ist die neu gewonnene Möglichkeit, die Mitstreiter in DLC-Missionen aufzuleveln mit viel Argwohn aufgenommen worden, schliesslich ist es so ein Leichtes (wenn auch zeitaufwändig), die Party massiv zu stärken. Aufgefangen wird diese Tatsache, dass das Spiel aber dann auch kurz nach der Hälfte massiv an Schwierigkeit zulegt. Quasi von einer Mission auf die andere werden die Gegner zahlreicher, wesentlich mächtiger und greifen konsequent an. Mir persönlich ging da das Herz auf, denn der erste Durchgang auf ‚Hard‘ (äquivalent zu ‚einfach‘ für geübte FE-Spieler) war bis zu diesem Zeitpunkt wirklich nur mässig schwierig.



Fazit:

Was gibt es also am Spiel auszusetzen? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Visuell ist es zweckmässig, schön und extrem gut zu bedienen. Die Musik ist episch, orchestral und lädt dazu ein, die Lautstärke anzubehalten. Der Umfang (gerade mit den Nebenmissionen und dem DLC) ist riesig und der erneute Durchspielwert hoch, schon nur wegen den verschiedenen Hochzeiten und Kindern. Inhaltlich ist es geschickt inszeniert: Mit einem Protagonisten, der dank dem schlauen Kniff der Individualisierung für viel Identifikations- und Immersionspotential sorgt. Für mich persönlich ist Fire Emblem: Awakening eines der besten Handheld-Spiele aller Zeiten. Einerseits, weil ich das SRPG-Genre und speziell diese Reihe liebe und es für mich wenig besseres gibt, als stundenlang über die nächste Handvoll Spielzüge zu brüten und darüber nachzudenken, welche Aktionen am effizientesten zum Sieg führen. Dazu kommt, dass der neueste Ableger der Serie an den absolut richtigen Stellen manchmal gefeilt oder gezimmert, gehauen und abgebaut hat und Neuerungen mit viel Bedacht auf die Spielbarkeit implementierte. Wer noch nie ein strategisches Rollenspiel gespielt hat, der wird mit FE:A bestens in das Genre eingeführt, ja geradezu verwöhnt. Ob Einsteiger oder Veteran, ob vertraut mit der Serie oder nicht – Intelligent Systems haben sich selber übertroffen und ein technische nahezu perfektes Spiel gemacht. Ich bin glücklich und fange bald mit einem Durchgang auf Lunatic+ an. Schliesslich habe ich ja einen Ruf zu verlieren.


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