Und täglich grüsst das Murmeltier: Die alljährliche FIFA Ausgabe steht vor der Tür. Selten ersehnte die Spielergemeinde dem Titel so entgegen wie in diesem Jahr. Wie wir 2016 zu Electronic Arts Referenz-Serie stehen, ist in den folgenden Zeilen nach zu lesen.
Ein Auszug aus dem letztjährigen Fazit: „FIFA ist auch im aktuellen Jahrgang wieder ein Plicht-Kauf, nicht nur für Fussball-Narren, sondern all jene, die mit dem Rasenschach irgendetwas anzufangen wissen. Ob die Worte in einem Jahr noch genau so positiv und leicht über die Lippen fallen, lassen wir uns überraschen.“ Die Überraschung war eigentlich nicht so gross, dennoch nicht weniger tragisch dass wir heute sagen müssen: Sorry EA, das war mitunter der schlechteste FIFA Jahrgang seit mehr als einem halben Jahrzehnt. Klar, sieht gut aus, spielt sich flott, viele Lizenzen, das kennen und lieben wir bei der Serie. Aber die völlig überzogenen Dribblings; wie viele Tore vielen weltweit in den vergangenen 12 Monaten direkt nach dem Anstoss, weil der ballführende Spieler direkt zum gegnerischen Tor durchspazieren konnte? Die hoffnungslos überforderte Verteidigung half da ebenfalls nur wenig, zumal die Konzentration stets sehr hoch gehalten werden musste, um solch schwachsinnige Tore effektiv zu verhindern.
Wie wir ebenfalls bereits im vergangenen Jahr angemerkt haben, benötigt ein Fussball-Spiel der aktuellen Generation unzählige, intensive Matches gegen KI-befreite, menschliche Gegner. Oft werden die Makel erst nach Monaten ersichtlich. Sieg-geile Real Madrid Spieler hält nichts davon ab, diese Gameplay-Schwächen immer und immer wieder auszunutzen. Gutes Gefühl nach dem billigen Torerfolg: Fehlanzeige. Aber was tut man nicht alles für den Sieg. Ist schliesslich auch egal, Fan von Liverpool aber Real Madrid hat die besseren Spieler? Da muss man schliesslich mit den Spaniern antreten. He Leute, euch ist schon klar, dass FIFA ein funktionierendes Match-Making besitzt? Solche Spieler und die Fehler von EA führten zu einem wahrlich miserablen Jahrgang, den wir gerne vergessen würden. Die letzten Wochen jedenfalls sind wir Redaktions-Intern komplett FIFA-befreit ausgekommen.
Umso mehr haben wir uns auf die neuste Version mit der befreienden Zahl 16 im Titel gefreut. Frei nach dem Motto „neues Jahr, neues Glück“ haben wir uns abermalig in die virtuellen Stadien bewegt um FIFA auf Herz und Nieren zu testen, soweit das in der kurzen Zeit eben möglich ist. Positiv fällt auf: Das Spiel fühlt sich ähnlich an, aber doch genug verändert, um nicht gleich an den schwachen Vorgänger erinnert zu werden. Der Durchmarsch beim Anstoss scheint entschärft zu sein, Kopfballtore wieder im Bereich des Möglichen. Schnelle Aussenspieler wirken auf den ersten wie auch den zweiten Blick sehr mächtig, das hat aber einen realistischen Touch – sehen wir uns die Kaderzusammenstellung vom FC Bayern oder Madrid an. Eine durchaus erfolgsversprechende Idee. Schwieriger ist hingegen, ein gepflegtes Passspiel mit Zug zum Tor zu entwickeln, bessere wenn auch bei weitem nicht fehlerfreie Defensiv-KI sei Dank. Dem Angreifer unterstützend zur Seite steht in diesem Jahr ein forscher Pass zum Mitspieler oder in dessen Lauf, das öffnet oft zusätzlich Räume. Ob sich das oder etwas anderes in einigen Monaten als Pferdefuss herausstellt, wird man sehen müssen. Aktuell fühlt sich der Titel frisch und vor allem gut an, der Drang immer noch eine Partie zu spielen war wieder da; keine Selbstverständlichkeit nach unserer im Nachhinein doch ziemlich festgefahrenen Meinung Teil 15 gegenüber.
Neu gibt es im aktuellen Jahr zusätzlich einen bislang unbekannten Draft-Modus, in welchen man sich mittels Spiel-Token aber einkaufen muss. Hört sich erst wenig berauschend an, zeigt aber schon früh die potentiellen Möglichkeiten auf. Das Prinzip ist einfach: Für jeden Mannschaftsteil stellt das Spiel den angehenden Team-Manager vor eine zufällig generierte Spielerauswahl-Liste. Hier draftet (ergo zieht) jener seinen Favoriten. Wie von Ultimate Team bekannt soll dabei auf Gemeinsamkeiten wie Liga, Verein oder Landesherkunft geachtet werden. Gut möglich also, dass man so zwar Robben draftet, aber nachfolgend kaum noch andere Holländer zur Auswahl stehen. So würde man sich bspw. auf weitere Bundesliga-Spieler einlassen oder aber einen Harmonie-Verlust in Kauf nehmen. Im Gegensatz zu Ultimate-Team besteht so schon früh die Möglichkeit, eine namhafte Truppe zusammen zu kriegen. Durch das Zufallsprinzip fallen andauernde Real-Bayern Matches aber weg. Das gezogene Team bestreitet nachfolgend einige Partien und der FIFA-Fan, genügend Erfolg vorausgesetzt, ergattert Spieler-Sets und andere Boni. Als wir das in der Presse-Meldung gelesen haben, entfachte es nur wenig innerliche Begeisterung. Das US-Ligen Prinzip funktioniert in der Praxis aber überraschend gut und macht Spass. Eine willkommene Abwechslung also zum nach wie vor hervorragenden (und endlos zeitraubenden) Ultimate Team.
Selbstverständlich könnten wir jetzt noch auf die flüssige, wirklich hübsche Grafik eingehen. Die unzähligen Lizenzen, Ligen und original-Spieler. Der weitläufige Manager-Modus, die vielfältigen Single- und Multiplayer Turniere sowohl im normalen wie auch im Ultimate Team Modus oder das motivierende Online-Ligen System. FIFA bietet mittlerweile dermassen viele Spieloptionen, da ist für jeden etwas mit dabei. Das bereits grossartige Kerngerüst wurde beibehalten und noch einmal mehr erweitert, um den bereits erwähnten Draft-Modus. Technisch macht EA kaum einer was vor. Zusätzlich gibt’s einen neuen deutschen Sprecher (Fuss ersetzt Breuckmann, Buschmann bleibt) und, das freut insbesondere Bundesliga-Zuschauer, originalgetreue Sky-Atmosphäre – wie das bereits im vergangenen Jahr für die Premier-League eingeflochten wurde. Warum die Kanadier nicht realisieren wollen, dass bei deutschen Fussball-Übertragungen traditionell nur ein Sprecher sein Unwesen treibt, bleibt derweil die grosse Unbekannte. Die beiden Kommentatoren leisten aber mehrheitlich gute Arbeit und insgesamt wirken die Sprüche nicht mehr ganz so abgedroschen wie in den Vorjahren.
Nun noch zu den klar negativen Aspekten, wie viele noch dazu kommen werden wird sich zeigen. Nach wie vor schlecht gelöst: Abseits Situationen werden mit schöner Regelmässigkeit zu spät gepfiffen, das nervt. Zudem scheinen die Schiedsrichter dazu angehalten worden zu sein, nahezu jede gegnerische Berührung zu ahnden. Sperren ohne Ball scheint jetzt aber endlich ab und an gefpiffen zu werden, teilweise ergeben sich aber Spielunterbrüche, bei welchen man beim besten Willen den Grund dafür nicht sieht. Teils hanebüchene Defensiv-Leistungen sind selbstverständlich immer noch in der Partie und Latten/Pfosten Treffer gehören zur Tagesordnung. An der Optik können die vielen mangelhaft modellierten Gesichter kritisiert werden. Rafinha beispielsweise hat ungefähr soviel Ähnlichkeit mit seinem realen Ebenbild wie mit Thomas Gottschalk. Das alles sind letztendlich nur Kleinigkeiten, die nicht unerwähnt bleiben sollen, und jetzt schon einen guten Grund für FIFA 17 liefern.
Und bevor wir es unter den Tisch kehren: FIFA 16 bietet zum ersten Mal die Möglichkeit, mit Frauen-Nationalmannschaften anzutreten. Es geht derweil wirklich ausschliesslich in den Nati-Teams ans Eingemachte. Spielt sich insgesamt ziemlich ähnlich wie das Rasengeschehen bei den Herren und bis auf andere Spieler-Modelle bleibt die grosse Überraschung aus – erwähnenswert ist es allemal, zumal die Implementierung der Damen auch längst überfällig war. Ob das Interesse der Spieler mit jenen anzutreten im selben Verhältnis steht, wie die Damen Fussball WM zu jener der Herren, bleibt abzuwarten.
Fazit:
Genau wie die TV-Moderatoren und Journalisten fühle ich mich mittlerweile bei den alljährlichen FIFA-Reviews. Man neigt zur ständigen Wiederholung, spricht Dinge aus, die bereits seit Jahren gesagt werden und stellt Fragen, die nicht zum ersten Mal auftauchen. Ganz im Gegensatz zur Fussball-Übertragung stellen sich bei FIFA aber immer wieder neue Fragen oder aber es darf über neue Glanzpunkte berichtet werden. So überzeugt der Draft-Modus nach anfänglicher Skepsis und lockt mit Abwechslung im Spielbetrieb. Um die neu eingespielten Phrasen abschliessend bewerten zu können, müssen noch einige Stunden FIFA über den Bildschirm flimmern, genauso um die mit Sicherheit vorhandenen Lücken im Gameplay zu bewerten. Ob es in diesem Jahr wieder übermächtige Kopfbälle sind, ob die Eckbälle erneut das Äquivalent zum 11-Meter werden oder die Defensive kaum einen gezielt gespielten Pass in die Spitze abzuwehren vermag – das wird sich alles in den nächsten, ebenso mit Sicherheit äusserst intensiven Spielmonaten zeigen. FIFA bleibt auch in diesem Jahr der Titelaspirant Nummer 1, dafür sorgen nur schon die mannigfaltigen Spiel-Möglichkeiten, die immense Vielfalt an Abwechslung und das nahezu komplette Lizenz-Paket. Dass der Platz dann noch deutlich besser aussieht (und klingt) als das bei der Konkurrenz der Fall ist, tut sein Übriges dazu. Fussball-Fans kaufen FIFA 16 ohne zu überlegen und hoffen, dass der Titel online auch nach einem halben Jahr noch genau so viel Spass macht – doch dazu dann mehr im nächsten Jahr.
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