Flying Wild Hog hat sich in diesem Jahr bereits mit dem Nachfolger zu Shadow Warrior 2 einen Namen gemacht. Evil West ist hingegen eine völlig neue IP und in Anbetracht des Werdegangs des Teams wäre es seltsam, etwas anderes als ein umfangreiches Actionspiel zu erwarten. Wir haben uns die Dämonen- und Vampirjagd genauer angeschaut.
Evil West ist, man ahnt es schon, im Wilden Westen angesiedelt, allerdings in einem alternativen Universum, wo findige Wissenschaftler bereits den Strom erforscht und gemeistert haben. Die Hauptfigur, Jesse Rentier, ist der Sohn des Leiters des streng geheimen Instituts für die Ausrottung von Vampiren und Untoten. Er hat eine ausgezeichnete Erfolgsbilanz als Feldagent und ist im Grunde der beste Kämpfer der Organisation. Ein Mannsbild eines zähen Helden, der jeden Feind besiegen und einen Ausweg aus jeder noch so brenzligen Situation finden kann.
Jesse schwingt zunächst einen einfachen Revolver und einen elektrischen Fehdehandschuh. Mit diesem Accessoire kann er massiven Schaden anrichten, indem er Gegner mit Blitzschlägen brät. Der Revolver selbst hat praktisch keine tödliche Wirkung und ist im Grunde die schwächste Waffe im Spiel. Er wird hauptsächlich für die spielerisch wichtige Verkettung von Combos verwendet. Später kommen ein Gewehr, eine automatische Armbrust, ein Flammenwerfer und andere Waffen dazu, mit welchen die Beseitigung der Blutsauger und Fleischfresser ein ganzes Stück spassiger wird. Der obligatorische Talentbaum mit vielen freischaltbaren Fähigkeiten und Moves lädt zum fleissigen EXP sammeln ein.
Jesse begegnet sowohl kleinen als auch ziemlichen grossen Gegnern, z.B. solchen mit Schilden, die nur durch einen Spezialschlag oder einen kräftigen Schuss aus dem Gewehr eliminiert werden können. Nicht alle davon sind Monster, auch selbsternannte Revolverhelden wollen ihm an den Kragen. Die Kämpfe sind das Fleisch am Evil West Knochen. Leider laufen jene stets nach dem gleichen Schema ab. Die meiste Zeit bewegen wir uns in linearen Levels von A nach B, vermöbeln ein paar Baddies, bis wir schliesslich in einer Art Arena landen, wo es gleich ein paar Dutzend Feinde auf einmal auf uns abgesehen haben. In diesen Situationen sollten wir unser gesamtes Arsenal mit Bedacht einsetzen, denn der geschickte Einsatz unserer Fähigkeiten lässt den Gegnern selten eine Chance. Wer hingegen wenig taktisch (oder klug) auf die Knöpfchen hämmert, segnet schnell das Zeitliche. Schon auf dem normalen Schwierigkeitsgrad ist Evil West kein Zuckerschlecken.
Die Erkundung der abwechslungsreichen Orte, in denen aufgrund ihrer Linearität ein Verlaufen praktisch unmöglich ist, belohnt uns mit Truhen und Goldsäcken, die wir fleissig in Upgrades investieren. Viele der Schauplätze dürften euch bekannt vorkommen: Bahnhöfe, Sümpfe, verlassene Städte, garstige Höhlen und Ölfelder. Es gibt auch eine Menge Mystik. Jesse verschlägt es öfters in die Unterwelt, wo er auf die Architektur uralter Wesen und deren Erbauer trifft. Diese Kreaturen weilen seit Hunderten von Jahren unbemerkt unter den Menschen und nehmen Einfluss auf unsere Entwicklung. Flying Wild Hog hat die meisten Locations mit viel Geschmack designt und mit einer ordentlichen Anzahl von Monstern, Fledermäusen und Spinnen überflutet. Letztere lassen sich in den Einstellungen deaktivieren, um die Gefühle von arachnophoben Spielern nicht zu verletzen.
Storytechnisch ist Evil West lapidar und erinnert an einen typischen B-Movie. Die Handlungsstränge der Charaktere und deren Dialoge bestehen aus markigen aber belanglosen Sprüchen, wie man sie aus testosterongeschwängerten 80er Jahre Action-Filmen kennt. Dennoch bietet das Spiel ein wenig Dramatik und eine – wenn auch vorhersehbare - Wendung der Handlung. Die seltenen Rätsel, bei denen man den richtigen Hebel umlegen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt über Abgründe oder Fallen springen muss, würde ich zwar kaum als solche bezeichnen, aber sie erfüllen ihren Zweck; sie helfen dabei, dass die Kämpfe nicht allzu langweilig werden.
Was Evil West toll macht sind cineastische Zwischensequenzen, die mich an die goldenen Zeiten der Singleplayer Games aus der PS3- und Xbox 360-Ära erinnern. Auch spielerisch fühlt sich Evil West wie ein Relikt aus dieser guten alten Zeit an. Die heutzutage höhere Bildschirmauflösung im Qualitäts-Modus (4k/30fps) kann jedoch nicht über die eher simple Grafik und die geringen Umgebungsdetails hinwegtäuschen, die auf Screenshots besser aussieht als in Bewegung. Der Performance Modus mit 60fps ist natürlich zu bevorzugen, leider kommt die Optik hier sehr verwaschen und unscharf rüber. Es besteht sogar die Möglichkeit, die Geschichte im Koop-Modus zu spielen. Leider dient die zweite Person eher als Assistent, dessen Fortschritt nicht gespeichert wird.
Fazit:
Evil West wird die Spielergemeinde spalten, denn es wirkt objektiv betrachtet veraltetet, mit überholten Gameplay-Mechaniken und Technologien. Das ist aber durchaus gewollt und für Nostalgiker wie mich eher ein Plus als ein Minus. Wer einfach nur Bock auf ein überschaubares, lineares Einzelspieler-Abenteuer ohne Mikrotransaktionen, Multiplayer-Wettbewerbe, DLCs und Seasonpass hat, darf sich freuen. Wenn man dann auch noch auf Cowboys, Monster und Gore steht, kann man eigentlich bedenkenlos zugreifen. Allerdings sollte man das Gameplay vor die Grafik stellen, denn abseits der tollen Monster-Designs ist das Gekloppe – das mich zunehmend positiv an God of War erinnert hat - mit wenigen Ausnahmen eher trist anzusehen. Was unter dem Strich zählt ist, dass mich Evil West während der eher kurzen Spielzeit gut unterhalten hat, und das ist ja schliesslich das Wichtigste. Spiele dieser Art gibt es heutzutage nur noch wenige, darum weiss ich sie sehr zu schätzen.
Evil West ist für PS4/5, Xbox One/Series X|S und den PC zu haben. Wir haben die Xbox Series X Version gespielt. Das Test-Muster haben wir uns selbst gekauft.
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