Was haben Chuck Norris, Kim Basinger, Vanilla Ice und Michael Madsen gemeinsam, abgesehen davon, dass ihre Tage im Rampenlicht vorüber sind? Sie alle gehören zum Cast von Crime Boss: Rockay City, welches bei seiner Ankündigung an den Game Awards für Verwunderung gesorgt hat. Im Frühling ist die PC-Version mit mittelmässigen Reviews erschienen. Inzwischen ist das Spiel auch für PS5 und die Xbox Series Konsolen zu haben. Die Neugier meinerseits war riesig und was soll ich sagen? Alles in allem bin ich positiv überrascht worden!
Travis Baker ist der “Candyman” und der aufsteigende Stern am kriminellen Himmel von Rockay City. Nachdem der ehemalige König der Stadt bei einem Attentat ums Leben kommt und ein Machtvakuum hinterlässt, will jeder Ganove der Stadt, Baker eingeschlossen, die Chance nutzen, an die Spitze zu kommen. Hielo (Vanilla Ice) der Rapper, Dollar Dragon (Danny Trejo) die rechte Hand des verstorbenen Bosses, die italienische Mafia und Khan mit seinen Bikern buhlen darum, Rockay City zu übernehmen. Ihnen gegenüber stehen die Polizei und SWAT-Einheiten und Sheriff Norris (Chuck Norris). Baker ist zum Glück nicht auf sich allein gestellt. An seiner Seite sind Casey (Kim Basinger) und Nasara (Damion Poitier), die sich um die Geschäfte kümmern. Gloves (Danny Glover…) ist der Kontakt bei der Polizei und der durchgeknallte Touchdown (Michael Rooker) ist der Mann fürs Grobe und Baker's Nummer 1.
Auf den ersten Blick erinnert das zentrale Gameplay stark an Payday. Was die Shooter- und Heistabschnitte betrifft täuscht das auch nicht. Bis zu vier Gangster (im Story-Modus kann man nur alleine mit drei KI Gefährten unterwegs sein) sind in kleinen Levels unterwegs, um sich möglichst viel Bargeld und andere Wertsachen unter den Nagel zu reissen. Dabei raubt man die Tresore einer Bank, die Showrooms eines Juweliers, die Lagerhäuser anderer Banden oder gestrandete Geldtransporter aus. Teilweise können diese Aufgaben auch schleichend in Angriff genommen werden, was aber wenig unterhaltend ist, weil es kaum Hilfsmittel für diese Herangehensweise gibt. Man schleicht, indem man sich duckt, kann Feinde im Nahkampf von hinten oder später schallgedämpft aus der Ferne ausschalten oder sie mit Steinen ablenken. Gleiches gilt für Überwachungskameras, die man nur zerstören, ihnen ausweichen oder in der Sicherheitszentrale deaktivieren kann.
Problematisch ist das Strike-System, denn nach drei Strikes wird automatisch ein levelweiter Alarm ausgelöst. Jede erledigte Kamera bzw. ausgeschaltete Wache ergibt einen Strike, egal wie stealthy man dabei vorgeht. Es ist furchtbar einschränkend und macht das Schleichen, egal wie effektiv es ist, die Mühe und Zeit kaum Wert. Manchmal gibt einem das Spiel erst gar nicht die Wahl und eine Mission fängt mit aktivem Alarm an.
Das Gunplay, besonders für die Konsolenversion, ist überraschend solide. Den Knarren fehlt es zwar ein wenig an Wumms, ihr Handling ist mit dem Controller aber geschmeidig und unterhaltsam. Das Trefferfeedback, besonders beim eigenen Charakter, ist dafür zu schwach und ungenau. In der Hitze des Gefechts fällt es schwer zu erkennen, dass man getroffen wird und woher dieser Beschuss genau kommt. Nichts desto trotz macht die Schiessbudenaction gegen endlose Wellen der Polizei Spass, auch wenn es nicht aussergewöhnlich ist.
Wirklich aussergewöhnlich ist die Art von Crimesimulator die Crime Boss: Rockay City mit einem Roguelike verbindet. Als Travis muss man sich um viele Facetten des ganzen Businesses kümmern. Um mehr Gebiete einzunehmen, heuert man gesichtslose Soldaten an, die dann in kurzen Sequenzen die Bandenmitglieder der Gegner abknallen. Diese können gleichzeitig aber auch die eigenen Gebiete attackieren und ausrauben, weshalb man seine Soldaten wiederum zur Verteidigung einsetzen muss. Pro Tag kann nur eine begrenzte Zahl an neuem Kanonenfutter angeheuert werden, wenn man überhaupt genug Geld dafür hat. Das Geld, das man in den vorher beschriebenen Einbrüchen und Angriffen sammelt, kann nämlich noch für viel mehr investiert werden. Wer auf diese Raubzüge gehen will, braucht nämlich Charaktere, die in der Regel angeheuert werden müssen, denn Travis selbst kann pro Tag an nur maximal zwei davon persönlich mitmischen. Ausserdem müssen alle Gangmember mit Waffen ausgestattet werden, was wiederum noch mehr Geld kostet.
Die Moneten können auch in Dekorationen für das eigene Safehouse investiert werden, was Erfahrungspunkte gibt, wodurch man viele Seiten der eigenen Operation verbessern kann. Jede Mission hat eine bestimmte Menge an Loot, die man zwingend einsammeln muss, um die Operationskosten zu decken und Gewinn zu machen. Alles darüber kommt in das eigene Lager und kann auf dem Schwarzmarkt vertickt werden. Dieser wird jedoch, wie bei einer Börse, durch tägliche Kurswechsel beeinflusst. Während an einem Tag Drogen für 30% mehr Gewinn verkauft werden können, fallen sie am nächsten Tag vielleicht schon ins Minus. Es ist ein cooles Minispiel jeden Tag einen Blick auf den Markt zu werfen und abzuwägen, wann man verkaufen will. Braucht man jetzt die Kohle dringend und verkauft sie unter Wert, damit man mehr Gangster anheuern kann oder wartet man ab und hofft, dass der Kurs wieder steigt? Diese kleine aber feine Mechanik gibt einem mehr Kontrolle über den Ablauf als man es vielleicht bei dieser Art von Spiel erwarten würde.
Wie für ein Roguelike gewohnt, ist der Lauf vorbei, sobald Travis Baker in einer Mission ins Gras beisst. Fast alles wird auf Null zurück gesetzt und man startet wieder bei Tag 1 der Kampagne und darf von vorne anfangen. Erhöht man jedoch seinen Level, schaltet man permanente Boni frei, die bei jedem Run zum Zug kommen. So hat man zum Start mehr Kohle und Gebiete zur Verfügung, Travis startet mit einer legendären Primärwaffe, Soldaten teilen mehr Schaden aus etc., eigentlich kann jeder Aspekt des eigenen Businesses irgendwie verbessert werden. Heisst, selbst bei einem misslungenen Run kann man auf jeden Fall einen Bonus für den Nächsten herausholen.
Draufgehen werdet ihr früher oder später, besonders weil sich im Verlauf einer Kampagne die Aufmerksamkeit von Sheriff Norris ständig erhöht. Je mehr Aufmerksamkeit ihr erhaltet, sei das durch viele Schiessereien mit den Bullen, das Einnehmen vieler Gebiete oder durch andere Geschäfte, steigt beständig ein Pronzentmeter. Ist dieser erst einmal auf über 50%, wird es hart. Das bedeutet, dass die Polizei schon zu Beginn von Missionen mit schwereren Einheiten wie Juggernauts oder Taser-Einheiten auf euch Jagd macht. Es ist daher, besonders bei euren ersten Anläufen, fast unmöglich, die ganze Stadt einzunehmen.
Nebenbei könnt ihr auch noch Missionen als einige eurer “Angestellten” unternehmen. Als Ranger werdet ihr in der Zeit zurück versetzt und spielt euch durch seine PTBS-Alpträume, die er aus dem Vietnamkrieg hat. Dann erinnert der ganze Ablauf an eine noch bizarrere Version von Call of Duty. Als Wiz sitzt ihr im Gefängnis und müsst auf verschiedene Arten Informationen rausschmuggeln, indem ihr z.B. Schachfiguren in einen vorbeifahrenden Wäschekorb werft. Diese Nebenmissionen, die diese Charaktere beleuchten, sind absolut merkwürdig, teilweise ganz unterhaltsam aber tragen überhaupt nichts zur eigentlichen Kampagne bei. Ausserdem gibt es einige richtig grosse Heists, wo ihr beispielsweise einen Geld-Zug entgleisen lassen und ausrauben müsst. Diese Missionen sind von eher gescripteter Natur und geben euch nicht nur richtig viel Zaster, sondern lockern den zufälligen Charakter der Kampagne auf. Welche Missionen und Heists ihr spielen könnt ist nämlich purer Zufall. Zufällig ist auch das Layout der Banken oder Lagerhäuser, die ihr ausraubt, zumindest teilweise. Die Gebäude sind eigentlich immer gleich. Nur ist der Tresor manchmal im Erdgeschoss und manchmal im ersten Stock. Manchmal hat der Hintereingang eine Kamera, manchmal nicht. Dadurch verlieren diese Exkursionen nach einer Weile etwas an Reiz, weil man eigentlich immer und immer wieder den gleichen Ort ausraubt.
Neben der Kampagne können genau die gleichen Missionen auch im kooperativen Online-Modus mit bis zu drei Mitspielern in Angriff genommen werden. Hier zeigen sich die Schwächen des Spiels deutlich mehr. Es gibt hier kein übergreifendes System, welches alles zusammenhält. Ohne die Möglichkeit, die Stadt einzunehmen und sein Geschäft aufzubauen, fällt das Kartenhaus schnell in sich zusammen. Man kann zwar viele Charaktere freischalten, wodurch diese Missionen einfacher werden und man noch mehr Geld verdienen kann (um noch mehr Charaktere freizuschalten), aber motivierend ist das leider nicht. Gleiches gilt für die Urban Legends Missionen, die gewisse Charaktere aus der Kampagne noch ein wenig mehr beleuchten. Aber erneut spielt man die gleichen Abschnitte und irgendwann hängen einem diese zum Hals raus.
Der Cast an Helden und Bösewichten aus den 80er und 90er Jahren ist bestimmt der Hauptgrund, weshalb man das Spiel überhaupt erst mit einem zweiten Blick würdigt. Ist man mit diesen Schauspielern aufgewachsen, ist es im ersten Moment schon cool, sie in virtueller Version als Gangster zu sehen. Sie tragen aber kaum etwas zum Feeling bei. Sie sehen zwar aus wie ihre realen Vorbilder, aber der grosse Teil der englischen Sprachausgabe wirkt derb hingeschludert. Seien dies die nie enden wollenden Football-Wortspiele von Michael Rooker oder die ständige Improvisation von Michael Madsen. Richtige Voice Actor hätten dem Spiel sicher mehr Flair geben können. Der schlimmste Fall ist jedoch ganz klar Chuck Norris, der zum Teil wie AI-generiert klingt und sich komplett unter seinem Wert verkauft. Aber hey, immerhin kann man Sheriff Norris auf das Cover setzen.
Fazit:
Crime Boss: Rockay City wirft mir in der Single Player Kampagne so viele Sachen an den Kopf, dass es mir schwindlig werden könnte. Es ist eine merkwürdige Suppe, in die eine gefühlt endlose Zahl an Köchen Zutaten geworfen haben. Und trotzdem funktioniert das alles überraschend gut! Mich hat es für eine lange Zeit immer wieder motiviert einen Run zu starten und Fortschritte zu machen. Der Roguelike Charakter steht Rockay City enorm gut und auch wenn vieles für sich allein genommen kaum Sinn ergibt, funktioniert das Endergebnis besser als ich es mir vorgestellt oder erhofft hätte. Alles abseits der Kampagne ist aber leider kaum der Rede wert. Jene macht dafür jede Menge Spass! Crime Boss: Rockay City ist schon zum Release zum günstigen Preis zu haben und wer so richtig Bock auf ein gutes und merkwürdiges Kunstwerk der Gameswelt und bestenfalls noch ein Faible für die 80er Jahre hat, sollte hier unbedingt zugreifen!
Crime Boss: Rockay City ist für PC, Xbox Series X|S und PlayStation 5 erschienen. Wir haben uns das Spiel auf einer Xbox Series X angesehen. Das Test-Muster stammt von 505 Games, wofür wir uns herzlich bedanken!
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