Schnallt die Bauhelme an, es wird wild! Kennt ihr die Spiele mit den kalten, stürmischen und nassen Nächten, in denen eine einsame Seele ohne klare Zukunftsperspektiven zum Helden auserwählt wird?!
Genauso fängt es auch hier an! Heftige Unwetter, die Stadt im Chaos und plötzlich ruft euch euer alter Kumpel an, weil er meint "DU bist der Richtige für den Job!". Und so stehen wir da, mit dem Bauhelm auf dem Schädel und machen uns auf dem Weg zu Hape, unserem guten alten Kumpel. Von hier an läuft die Einführungskampagne, die quasi das Tutorial darstellt. Pritschenwagen fahren, mit dem Radlader Erdrutsche beseitigen, Gruben ausheben und noch einiges mehr.
Reden wir zu Beginn über die Spielmechanik und das ganze Drumherum. Anfangs müssen wir erst einmal unseren Avatar erstellen. Zur Auswahl stehen ein paar übliche Stereotypen (Weiss, Afro, Asiate, etc.) in männlich und weiblich. Farbe der Kleidung, der persönlichen Schutzausrüstung und ein paar andere Kleinigkeiten können eingestellt werden. Der Charakter- sowie der Firmenname wird gewählt, ob wir in Nordamerika oder Europa spielen wollen und dann geht's schon los. Aber Obacht! Denn der Name wird so wie er ist im Online-Multiplayer dargestellt.
Die Spielsteuerung auf der Konsole ist, nett ausgedrückt, "wild". In den Menüs wird alles verwendet was auf dem Controller verfügbar ist. Besonders "elegant" ist, dass Elemente nur mit dem Analogstick ausgewählt werden können. Leute, ich habe ehrlich aufgehört zu zählen wie oft ich an einer Auswahl vorbeigeschossen bin, nur weil ich den Stick zu hart gedrückt habe. Ach ja, wer kam eigentlich auf die Idee anstatt dem üblichen "X"-Button den Dreieck-Button für die Interaktion zu verwenden?! Gelaufen wird mit dem linken Analogstick, wobei das Laufen eher an eine Stealthsimulation erinnert: Dermassen langsam und der Rücken so gerade, als hätte er einen Besenstiel im Allerwertesten. Immerhin gibt es die Option zu Rennen mit R2 und da es keine Staminaleiste gibt, ist dies wohl die optimalste Lösung für die bipedale Fortbewegung. Springen, sowie über Mauern klettern (fragt nicht) ist auch möglich.
Was die Steuerung der Fahrzeuge angeht, das ist so die Sahne in der Torte. Ich denke die Entwickler wollten das so getreu wie möglich machen. Das heisst, Baumaschinen, die auch real über Joysticks gesteuert werden, müssen komplett anders gesteuert werden als Baumaschinen, die über ein konventionelles Lenkrad mit optionaler Joysticksteuerung (z.B. für Krananbauten) gesteuert werden. Das Ganze reflektiert somit in ein totales Gehirntraining. Normale Fahrzeuge lenkt ihr über den linken Analogstick, gebt Gas über R2 und bremst bzw. fahrt rückwärts über L2. Bei Kettenfahrzeugen sind sie dann richtig kreativ geworden: L1+R1 für vorwärts, L2+R2 für rückwärts. Irgend ein L oder R alleine rotiert auf der Stelle, eine Kombination aus verschiedenen L und R ergibt ein vorwärts oder rückwärts rotieren mit fahren. Und jede Achse beider Analogsticks dient zum rotieren, ausfahren, schwenken, anheben, absenken und was noch so möglich ist, je nach Fahrzeug.
Auch wenn das jetzt irgendwie hart frustrierend klingt, irgendwie macht das auf so eine leicht masochistische Art schon wieder Spass. Als Bonus gibt es dann Kurven- und Bergabfahrten. Bei ersteren könnt ihr so richtig mit Style mit dem LKW um die Kurve sliden; also elegant das Heck ausbrechen lassen und ab geht's. Letzteres hat mich doch etwas überrascht. Klar, LKWs werden abwärts schneller, aber die geben hier so ein Stoff, dass ich das erste Mal so ziemlich alles mitgenommen habe, was im Weg stand. Beim nächsten Mal drückte ich dann so hart den L2 Schulterknopf zum Bremsen, dass sogar mein Controller geknackt hat! Immerhin hatte ich dann noch 2cm Luft zum Vordermann.
Was nun auf der Torte fehlt ist die schöne Erdbeere auf dem Sahnehäubchen. Das wäre die Kamera.
Echt, so eine absolut üble Umsetzung einer Autokamera habe ich seit den ersten richtigen 3D Spielen nicht mehr erlebt! Da ist selbst die Autokamera von Sonic Adventure 1 und 2 ein Technikmeisterwerk. Vorweg: Ich habe mir "Let's Plays" für den PC angeschaut, dort scheint der Spieler absolute Kontrolle über die Kamera zu haben. Hier, auf der Playstation aber erst einmal vom ersten Eindruck her: Absoluter Automatikmodus! Ich habe nur per Zufall, also durch drücken aller möglichen Knöpfe, den manuellen Modus gefunden. Drückt beide Achsenknöpfe gleichzeitig, so lässt sich die Kamera per Hand verstellen! Die Kamerawinkel im Automatikmodus, sowie Kameraposition, -rotation und -zoomlevel werden über diverse Faktoren, wie zum Beispiel die Rotation der Fahrerkabine zu einer bestimmten Achse hin, bestimmt; und das ist absolutes Gold! Stellt euch vor, dass ihr gerade ein Fahrzeug mit Anhänger rangiert und drückt den Analogstick nach rechts, damit sich das Gespann nach links bewegt und plötzlich rotiert die Kamera 180°. Keine Ahnung, aber mein Gehirn denkt dann öfters mal "Oh! Drücke nach links!", was natürlich falsch ist, aber die Kamera denkt sich dann "Oh, der drückt ja nach links! Also zurück auf die alte Position!". Es gibt übrigens einen zumindest kleinen Workaround für die meisten Situationen: Die Egoperspektive. Ich kann ohne diese die Fahrzeuge echt nicht von A nach B über die Strassen fahren. Die ganze Autorotation irritiert mich so hart, dass ich überall reinknalle.
Kommen wir mal zu vielen anderen Problempunkten bei dem Spiel. Die Kollisionsabfrage und die Gewichtung von Umweltobjekten ist im unteren Drittel von befriedigend. Ich meine, es ist mir klar, dass es kein Schadensmodell à la Gran Turismo braucht, aber bitte, macht doch keine Mülltonnen so haltbar wie das Tor von Mordor. Irgendwie schaffte ich es nämlich zwischen zwei Mülltonnen in eine Sackgasse zu fahren, weil das naturnahe Navigationsystem mich fehlgeleitet hatte. Beim Versuch wieder rauszukommen, rückwärts wohlgemerkt, hing ich dann mal so zwanzig Minuten an den besagten Müllentonnen von Mordor fest, weil ich vorher versehentlich den Lenkwinkel leicht verstellt hatte. Ernsthaft, ich kann Verkehrsschilder umnieten, und die fliegen echt schön weit, aber so dämliche Mülltonnen halten einen LKW auf?!? Ich habe damals meiner Chefin ihre Papiermülltonne aus versehen kaputt gemacht, weil ich die mit 2.5t Papiermüll gefüllte Tonne mit angezogener Bremse 50 Meter über den Hof gezogen habe, mit einer Hand! Und hier bleibt ein LKW dran stecken!?
Oder wenn es darum geht zum Beispiel Erde auszubuddeln, da bleibt öfters mal die Schaufel stecken, die Grabefunktion reagiert gar nicht und ich weiss nicht warum. Wildes Gewackel an der Steuerung und irgendwann bewegt sich der Arm und die Schaufel wieder. Das Baggertutorial hat bei mir eine gute Stunde gedauert. Keine Ahnung, aber anstatt den totalen Frustanfall danach zu haben, überkam mich ein total euphorisches "Oh yes! Endlich!"... Genauso lustig ist es mit der Planierraupe ungebremst mit Vollstoff auf das unebene Grundstück zu fahren und erstmal gemächlich im Crosstrackstyle abzuheben; nur fliegen ist schöner! Ich habe Kumpels im Baugewerbe, aber die haben soweit ich weiss noch keine Planierraupe zum Springen gebracht.
Die deutlichen Unterschiede zwischen PS4-Version (oben) und PC-Version (unten) haben spielerisch einen grossen Einfluss. PS4 Spieler sind klar benachteiligt.
Schauen wir uns die ärgerlichsten Probleme an: Ganz vorne stehen die Abstürze, meist Fehlercode CE-38700-8, was auch immer der aussagt. Immerhin scheint das Spiel intern ein Backup von den Speicherständen zu machen. Nach einem Absturz war nämlich mein Spielstand korrumpiert, aber er wurde zum Glück wiederhergestellt. Dazu kommen harte Ruckler und Framedrops, zum Glück aber nicht beim Manövrieren der Baumaschinen (zum Beispiel bei voller Fahrt auf der Strasse). Klar, die PS4 ist betagt, die PS4 Pro oder PS5 sollten (hoffentlich) weniger oder gar keine Framedrops haben. Und das Spiel speichert recht regelmässig, was auch zu Rucklern führt; und dabei habe ich schon eine Hybridfestplatte (SSHD) verbaut. Ausserdem versagt manchmal die komplette Spielmechanik, das heisst es ist keine Interaktion mit irgendwas möglich. Abhilfe schafft hier nur: Speichern, zurück zum Titelbildschirm und neu laden. Und letztendlich denke ich, dass das Spiel einen internen Rechenfehler hat. Autos in der Stadt fahren nur um die 30 km/h und auf der Autobahn um die 50km/h. Ich vermute es fehlt die Umrechnung von Meilen auf Kilometer Rechnet man die 30 mit dem Meilen-Faktor kommt das auf knapp 48 und die 50 werden zu 80, was eher Sinn macht. Außerdem bekommt man einen Strafzettel wenn man mit über 30 km/h in den Ort fährt. Das ist in Europa nicht korrekt. Dazu muss ich sagen, dass ich nur die Europakampagne für das Review getestet habe; aber die Vermutung liegt sehr nahe.
Ach ja, zum Thema Verkehrksprobleme noch abschließend ein paar Worte. Die NPC Fahrer bleiben öfters mal an einem Kreisel oder an einer Kreuzung stehen und bewegen sich nicht mehr weiter. Ich hatte mich mal bis zu zehn Minuten mit meinem Mobiltelefon befasst und stand noch immer hinter der Schlange.
Fazit:
Unterm Strich, und unter grosszügigem Auslassen der teils gravierenden Mängel in dieser Portierung, macht das Spiel doch überraschend Spass. Wenn irgendwas so richtig gut klappt und dann eine Mission beendet ist, bekommt man doch schon richtige Episoden von Glückgefühlen. Echt jetzt, ist die Steuerung mal verstanden macht das richtig Laune, zum Beispiel die richtige Position für den Bagger zu finden, um die Grube zu treffen, oder mit der Bauwalze richtig zu rangieren, um Asphaltbahnen zu verdichten. Besonders in der Egoperspektive ist das schon eine willkommene Herausforderung. Leider gibt es auf der PS4 keine funktionierenden Seiten- oder Rückspiegel, sonst wäre ich einen ganzen Baueinsatz nur in der Egoperspektive verblieben; so muss man ständig die Ansichten wechseln. Auch ist das Spiel selbst nicht nur eine Baustellensimulation mit einem richtig lizenzierten Fuhrpark, sondern auch eine kleine Wirtschaftssimulation. Wir müssen hier nämlich eine Firma leiten, Mitarbeiter einstellen, den Fuhrpark verwalten und uns über verschiedene Kampagnen hinweg einen Namen machen. Dem Konzept nach könnte der Spieler wohl auch Bankrott gehen, für das Review wollte ich das jetzt nicht unbedingt herbeizwingen. Ach ja, ganz lustig ist auch, dass es eine Verkehrssünderoption gibt. Darunter fallen unter anderem Rotlichtverstösse, zu hohe Geschwindigkeit oder Parkplatzrempler, die einen direkt zur Kasse bitten. Meine Bewertung ist trotz allem jetzt nicht deutlich niedriger ausgefallen, da ich seltsamer Weise wirklich keinen einzigen Frustanfall bekommen habe. Ich war immer irgendwie in meine Aufgabe vertieft, sobald ich die Steuerung der entsprechenden Maschine einmal verstanden hatte, und war am Ende richtig erfreut es erfolgreich geschafft zu haben. Trotzdem, lasst lieber die Finger von der PS4 Version und holt euch das Spiel bei Interesse für PC oder PS5/Xbox Series.
Den Bau-Simulator 2022 (engl. Construction Simulator) gibt's für PC, PS4/5, Xbox One und Series X|S. Wir haben die Playstation 4 Version gespielt. Das Test-Muster stammt von astragon Entertainment und weltenbauer, wofür wir uns herzlich bedanken.
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