Alpha Protocol ist ein Mischwerk: Da wäre zum ersten der Hauptprotagonist Michael Thorton der - auf den ersten Blick - eine Mischung aus James Bond und Jason Bourne zu sein scheint. Dann wäre da das Spielpaket an sich, welches sich unweigerlich Vergleiche mit dem ersten Teil von Biowares Science-Fiction-Saga gefallen lassen muss. Jedoch weiss es teilweise nicht genau, ob es mehr Rollenspiel oder mehr Third-Person-Shooter sein will.
Sein Name ist Thorton. Michael Thorton. Und was macht ein Geheimagent, der sich so vorstellt? Die Welt retten natürlich. Von Saudi-Arabien über Rom bis nach Russland klappert Thorton allerlei geografische Lagen ab, die auch Mr. Bond himself gerne in einem Anlauf bereisen würde. Wie ihr da hingegen vorgeht, das bleibt mit einer Entscheidungsfreiheit, die seinesgleichen sucht, gänzlich euch überlassen.
Denn mit jenen Entscheidungsfreiheiten lässt Alpha Protocol so richtig seine Muskeln spielen. Durch ein Dialogsystem, welches sich offensichtlich an Mass Effect orientiert, windet ihr euch von Gespräch zu Gespräch (mit dem Bewusstsein, dass jede Entscheidung einen Einfluss auf das Spielgeschehen habt). Ob ihr wie James Bond die Frauen bezirzen wollt, oder ob ihr euch nur auf eure Mission konzentriert – alles hat einen Einfluss. Jede Entscheidung in einem Dialog mit einem NPC wirkt sich direkt auf die Beziehung aus, die Thorton mit seinem Gegenüber hat. Verscherzt ihr es beispielsweise mit einem NPC, so müsst ihr damit rechnen, dass ihr entweder gewisse Nebenmissionen nicht spielen könnt, oder dass der Charakter euch bei einer Mission nicht zu Hilfe eilt.
Dabei gibt es nach meinem ausführlichen Test kein „richtig“ oder „falsch“. Das direkte Feedback „Du-hast-gut-gehandelt“ oder „Du-hast-grad-schlecht-gehandelt“ entfällt in Alpha Protocol, was meiner Meinung nach aber auch wirklich Sinn macht, da ihr so noch tiefer in das Spielgeschehen eintauchen könnt und nicht das Gefühl vermittelt bekommt, dass eine Mission anders wohl besser gelöst worden wäre. So könnt ihr nämlich eurer Intuition freien Lauf lassen. Hier lautet die Devise eindeutig "Mittendrin statt nur dabei". Denn wenn sich Thorton zwischen einer schönen Frau und einer Bombe, die es zu entschärfen gilt, entscheiden muss, kratzt euch euer Gewissen auf jeden Fall – egal wie ihr euch entschieden habt. Und richtig spannend wird's dann erst, wenn ihr euch in Dialogen innerhalb von kürzester Zeit für eine der vier Optionen entscheiden müsst, da das Spiel sonst für euch auswählt.
Wie es sich für ein Rollenspiel gehört, gibt es natürlich auch in Alpha Protocol das altbekannte Leveling- und Fähigkeitensystem. Ihr könnt euren Helden auf euer Spielverhalten zuschneidern. Wollt ihr lieber ballernd durch die Levels rennen oder zieht ihr es vor, die Gegner aus dem Hinterhalt zu meucheln? Spezialisiert ihr euch eher aufs Hacken, damit ihr Überwachungskameras schneller auschalten könnt und Computer schneller unter eure Fittiche nehmen könnt? Hier sei euch gesagt: einen paladinähnlichen Charakter, der von allem etwas kann, solltet ihr so gut wie möglich vermeiden. Habt ihr euch einmal für einen Weg entschieden, empfehle ich euch schwer, diesen weiter zu verfolgen, da das Spiel sonst schlicht zu schwer wird. Ich bin in meinem Test mit dem Spezialisten am Sturmgewehr, gepaart mit guten Tarn- und Hackfähigkeiten am Besten gefahren, da es sowieso unvermeidbar ist, dass ihr ab und an mal mit Waffengewalt gegen die Schergen vorgehen müsst. Drei eurer levelbaren Fähigkeiten könnt ihr übrigens nach der ersten grossen Mission spezialisieren und dann noch weiter ausbauen.
Zwischen den Missionen könnt ihr auf dem Schwarzmarkt mit dem aus den Missionen erbeuteten Geld Waffen einkaufen oder aufrüsten und eure Panzerung auf Vordermann bringen. Daneben dürft ihr in Dossiers, die es für jeden Charakter dem ihr begegnet gibt, blättern um euch auf kommende Missionen vorzubereiten. Habt ihr euch sattgelesen, gilt es noch die E-Mails zu beantworten, die ihr nach jedem Einsatz von den NPCs erhaltet (sofern ihr es euch nicht mit allen komplett verscherzt habt). Neben witzigen Anekdoten sind die E-Mails auch wichtig damit ihr die Zusammenhänge der Story versteht. Viele kleine Brücken oder Anspielungen werden euch nur in den E-Mails erzählt.
Neben allen positiven Punkten hat Alpha Protocol aber leider auch seine Schwächen. So ist das Gefechtssystem etwas hakelig und die Hacksequenzen (in welcher ihr Zahlen- und Buchstabenkombinationen in einem Rechteck in welchem weitere Zahlen rotieren, platzieren müsst) sind für mich eine reine Frustangelegenheit. Ausserdem ist der Titel weder grafisch noch akustisch auf dem aktuellsten Stand. Doch wenn der Erstling schon wirklich viel Spass macht, darf man sich auf den Nachfolger um so mehr freuen. Obsidian hat nämlich versprochen, bei einem Verkaufserfolg einen zweiten Teil zu machen. Gerüchteweise haben die Jungs damit sogar schon angefangen.
Fazit:
Es ist lange her, dass ein so actionlastiges Rollenspiel eine solch packende Geschichte erzählt hat und gleichzeitig ein dermassen komplexes Beziehungssystem an den Tag legt. Auch wenn Alpha Protocol einige kleine Macken hat, die man mit etwas mehr Liebe zum Detail hätte umgehen können, macht es doch eine Menge Spass. Fans von Mass Effect & Konsorten dürfen getrost zugreifen.
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